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24. Jun 2020

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Wirtschaft

Die gesamte Kette im Blick

Journalist: Dr. Reinhard Grandke

Die öffentliche Diskussion zeigt es deutlich: Landwirtschaft soll regionaler, tiergerechter, umwelt- und klimafreundlicher werden. Das führt zu einem besonderen Veränderungsdruck, denn gleichzeitig soll sie bis 2050 über 9 Milliarden Menschen ernähren. Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Nahrungsmittelproduktion dafür verdoppeln muss. Es gilt diese Herausforderungen anzunehmen und die landwirtschaftlichen Betriebe darauf auszurichten.


Foto: Dr. Reinhard Grandke, Hauptgeschäftsführer der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft), Foto: Presse

Themen wie Regionalität und Transparenz stehen für viele Verbraucher ganz oben auf der Agenda. Eine Lösung scheint die Produktion nach Bio-Richtlinien, eine andere die Produktion nach Nachhaltigkeits- oder Tierwohlkriterien zu sein. Alle Verfahren sind Bestandteil der öffentlichen Diskussion, allerdings derzeit (noch) häufiger in Debatten als in der Entscheidung des Verbrauchers am Regal. Sie werden aber auch innerhalb der Landwirtschaft intensiv diskutiert. Was ist machbar, wo gibt es wissenschaftlich fundierte Lösungen, was ist ein kurzfristiger Trend und was ist Grundlage für eine langfristige Strategie?

Digital kooperieren

Nahrungsmittel aus regionaler, nachhaltiger und ökologischer Produktion dürften aber künftig stärker den Markt bestimmen. Dabei werden sich die Verfahren und Kriterien zwischen den verschiedenen Produktionsverfahren in einigen Punkten annähern und ergänzen. „Grabenkämpfe“ wie früher z.B. zwischen biologischer und konventioneller Landwirtschaft sind unter professionellen Erzeugern ohnehin längst Vergangenheit. Es gilt voneinander zu lernen und Produktionsweisen und Produkte zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Verbraucher entsprechen. Dafür muss die Zusammenarbeit aller Beteiligten in den Produktionsprozessen intensiviert werden. Die Frage aber, wie kostengünstig kann unter welchen Richtlinien produziert werden, wird weiterhin über den Erfolg an der Ladentheke entscheiden.

Als Unternehmer müssen alle Teilnehmer in der Wertschöpfungskette – unabhängig von der Produktionsweise – betriebswirtschaftlich denken: Vom Vorlieferanten über den Landwirt, die Lebensmittelindustrie, den Handel bis zum Verbraucher. Diese Kette erhält mit der Digitalisierung ein sehr wirkungsvolles Werkzeug. Informationen können über den gesamten Produktionsprozess durch den Einsatz digitaler Lösungen besser und schneller erfasst werden und nahezu in Echtzeit für alle Stufen zur Verfügung gestellt werden. Alle Teilnehmer der Wertschöpfungskette arbeiten so wesentlich enger, effizienter und schneller zusammen. Das schafft ökologischen, ökonomischen und sozialen Nutzen. Verbrauchererwartungen lassen sich so besser und schneller erfüllen.

Fortschritt erfordert Investitionen

Diese Ausrichtung setzt leistungsfähige landwirtschaftliche Betriebe und Wertschöpfungsketten voraus. Neue Verfahren müssen entwickelt werden und bestehende sind an die Anforderungen zu adaptieren. Betriebe müssen in innovative Verfahren investieren. Dazu ist es notwendig, die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit dieser Systeme sicher zu stellen. Für die DLG (Deutsche Landwirtschaft-Gesellschaft e.V.) ist das Denken und Handeln entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Land- und Lebensmittelwirtschaft bis zum Verbraucher seit jeher Auftrag.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.