17. Mär 2023
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Gesellschaft
Journalist: Armin Fuhrer
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Foto: Stephan Schütz ist Partner bei gmp-Architekten von Gerkan, Marg & Partner; Credit: Katja Strempel, Pexels
In Deutschland behindern zu viele Vorschriften und Regeln die Arbeit der Architektenbüros, sagt Stephan Schütz, Executive Partner bei gmp-Architekten.
Herr Schütz, wenn Sie mal einen Vergleich anstellen mit der Situation von vor 20 Jahren – wie hat sich das Bauwesen seitdem verändert?
Einerseits haben sich die Planungsprozesse in diesem Zeitraum fundamental verändert: Von handgezeichneten Plänen über eine computergestützte 2D-Planung bis hin zur BIM-Methodik, die ein weitgehend fehlerfreies Arbeiten aller Planungsbeteiligten mit konkreten Bauteildefinitionen, Termin- und Kostenübersichten ermöglicht. Andererseits hat sich aber das Bauen selbst in Bezug auf die Verwendung von Baustoffen und Bauelementen kaum verändert. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist an dieser Stelle ein konsequentes Umdenken nötig. Denn etwa 50 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes wird durch Bautätigkeit verursacht.
Ist es durch neue technische Möglichkeiten leichter geworden für die Beteiligten oder schwieriger durch gestiegene Anforderungen?
Der Präzision heutiger Planungsprozesse steht ein unüberschaubares Dickicht an Verordnungen und Baugesetzen gegenüber. Die komplexen Normen und bauaufsichtlichen Zulassungen beeinträchtigen im Vergleich zu früher die Gestaltungsfreiheit der Architektinnen und Architekten und damit die Qualität unserer gebauten Umwelt. Ohne eine entschlossene und schnelle Deregulierung werden wir die dringend notwendige Kehrtwende zum „robusten Bauen“ nicht schaffen.
Wir müssen den Gebäudebestand transformieren und weiternutzen.
Inwiefern verändert sich durch BIM die Arbeit?
BIM erlaubt ein simultanes Arbeiten von Architekten und Fachplanern an verschiedenen Orten. Dieser Vorteil wurde während der Coronapandemie offensichtlich. Physische Planungstreffen – oft verbunden mit aufwendigen Reisen – reduzierten sich auf ein Minimum. Je größer und komplexer ein Projekt ist, desto deutlicher treten die Vorteile von BIM zutage. BIM reduziert Fehlerpotenziale und unterstützt durch 3D-Visualisierungen die Anschaulichkeit und das Verständnis unserer Planungsergebnisse für unsere Auftraggeber.
Zugleich wächst der Druck in Richtung nachhaltiges Bauen. Ist das ohne BIM überhaupt im geforderten Maß möglich?
Ein BIM-Modell erlaubt gerade in den frühen Leistungsphasen umfassende bauphysikalische und energetische Simulationen. Auf diese Weise können wir unsere Bauten im Sinne der Nachhaltigkeit optimieren, Konstruktionsweisen hinsichtlich des Ressourcenverbrauchs und des CO2-Footprints vergleichen. Und über die BIM-Planung können sämtliche Bauteile erfasst werden, sodass sie im Wertstoffkreislauf bleiben und zu einem späteren Zeitpunkt wiederverwendet werden können.
Die Bauwirtschaft ist für einen großen Teil des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Welche Möglichkeiten gibt es zur Dekarbonisierung?
So wenig bauen wie möglich! Wir müssen den Gebäudebestand transformieren und weiternutzen. Aus meiner Sicht hinkt die Bauwirtschaft dem Postulat eines schonenden Umgangs mit unseren Rohstoffen deutlich hinterher. Wir müssen uns so schnell wie möglich von der immer noch gängigen Wegwerfmentalität verabschieden.
Welche Rollen können in Zukunft klimafreundliche Baumaterialien und die Kreislaufwirtschaft spielen?
Das Bauen mit natürlich nachwachsenden Rohstoffen, zu denen an erster Stelle der Baustoff Holz gehört, hat schon heute eine übergeordnete Bedeutung. Da jedoch die Holzvorkommen begrenzt sind und mit jedem gefällten Baum die Bindung von Kohlendioxid reduziert wird, kommt es in Zukunft darauf an, Baustoffe wiederzuverwenden. Dieser Prozess wird aber nur gelingen, wenn er durch eine Novelle der Bauvorschriften unterstützt wird.
Auch an die Stadtentwicklung werden heute andere Anforderungen gestellt als vor 20 Jahren. Die autogerechte Stadt ist nicht mehr das Ziel bei der Entwicklung neuer Quartiere. Worauf wird heute Wert gelegt?
Die autogerechte Stadt war eine logische Konsequenz aus dem Städtebau der Moderne mit seiner strikten Trennung von städtischen Funktionen wie Wohnen, Arbeiten, Konsum, Kultur etc. Die Stadt der Zukunft wird dezentral organisiert sein. An der Pariser Sorbonne-Universität wurde das städtebauliche Konzept der 15-Minuten-Stadt entwickelt. Darin lassen sich alle wichtigen Einrichtungen des Alltags ohne Auto innerhalb von 15 Minuten erreichen. Städte wie Hamburg oder Berlin arbeiten bereits an der sukzessiven Umsetzung dieses Modells.
Sollten möglicherweise Stadtviertel zurückgebaut werden?
Der sich weltweit abzeichnende Trend zum Zuzug in städtische Räume wird aufgrund globaler Migration noch zunehmen. Deswegen werden wir unsere Städte nicht zurückbauen, sondern kontinuierlich umbauen müssen. Das wird die dominante Aufgabe zukünftiger Generationen von Architekten sein.