Diesen Artikel teilen:

13. Jun 2022

|

Business

Digital gesunden

Journalist: Kirsten Schwieger

|

Foto: Presse/unsplash

Interview mit IDC Europe über Herausforderungen und Lösungsansätze bei der Digitalisierung des hiesigen Gesundheitssystems.

silvia-piai-idc-2.jpg adriana-alocato-2.jpg

Silvia Piai, Research Director, IDC Europe und Adriana Alocato, Research Manager, Health Insights, IDC Europe

Frau Piai, wo steht das deutsche Gesundheitssystem in Sachen Digitalisierung im internationalen Vergleich?

Deutschland ist die Nummer eins bei den Gesundheitsausgaben in Europa und gehört auch von der Größe her zu den drei größten europäischen Gesundheits-IT-Märkten. Seit 2019 hat Deutschland mutige Schritte unternommen, um die Digitalisierung seines Gesundheitssystems voranzutreiben, und wichtige Reformen und Gesetze zur Modernisierung des Gesundheitswesens auf den Weg gebracht. Die Gesetzesinitiativen decken ein breites Spektrum an Themen ab, wie z. B. die Digitalisierung von Krankenhäusern, elektronische Gesundheitsakten, elektronische Rezepte, Telemedizin, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) und die Modernisierung der Pflege.

Frau Alocato, was sind die besonderen Herausforderungen?

Während COVID-19 den Einsatz bestimmter Gesundheitstechnologien beschleunigte, insbesondere im Bereich der Telemedizin, behinderte es auch die Umsetzung von Reformen im Gesundheitswesen; der Austausch von Gesundheitsinformationen zwischen Gesundheitseinrichtungen erfolgt immer noch weitgehend in Papierform, die landesweite Einführung elektronischer Verschreibungen hat sich verzögert, und DiGAs werden nicht allgemein genutzt. Nach den Erhebungen von IDC sind die wichtigsten Hindernisse für digitale Investitionen im deutschen Gesundheitswesen Datenschutz- und Sicherheitsbedenken sowohl bei Anbietern als auch bei Patienten. Andere wichtige Herausforderungen sind Interoperabilitätsprobleme und die Bereitschaft der Nutzer.

Frau Piai, welche Strategien sind jetzt ratsam?

Die neuen Richtlinien und Vorschriften in Deutschland adressieren die meisten kritischen Bereiche der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Für eine erfolgreiche Umsetzung und nachhaltige Ergebnisse ist jedoch ein Ökosystem-intelligenter Ansatz erforderlich. Die Umsetzungsstrategien müssen auf einem patientenzentrierten Ökosystem aufbauen, das intelligente Vertrauensbeziehungen und eine sichere Zusammenarbeit mit allen Beteiligten auf allen Ebenen unterstützt – zum letztendlichen Nutzen der Patienten. Der Aufbau von Vertrauen im gesamten Ökosystem ist unerlässlich, um die heutigen Herausforderungen zu bewältigen. Das bedeutet natürlich, dass die Patienten einbezogen werden müssen, aber der Fokus muss auch auf den klinischen Bereich gerichtet werden.

Frau Alocato, welche Möglichkeiten bieten die verschiedenen Technologien?

Es gibt keinen Aspekt in den modernen Geschäfts- und Betriebsmodellen des Gesundheitswesens, bei dem Technologien nicht dazu beitragen können, den Wert für die Patienten zu erhöhen. Die Digitalisierung kann Ziele in Bezug auf Erfahrungen, klinische Ergebnisse und betriebliche Effizienz unterstützen, solange sie auf einer durchgängigen Datenstrategie beruhen. Es gibt viele Beispiele für Möglichkeiten, von der Personalisierung der Pflege mit dem breiten Spektrum an Technologien für die digitale Patientenaufnahme und die Diagnostik bis hin zur Optimierung klinischer Prozesse und einer besseren Arbeitserfahrung mit intelligenten Entscheidungsunterstützungssystemen.

27. Jun 2025

|

Wirtschaft

Nachhaltig, transparent und partnerschaftlich – Im Interview mit Barbara Frenkel, Vorstandsmitglied Porsche AG

**Warum bekommt die Beschaffung oft so wenig Aufmerksamkeit – obwohl so viel von ihr abhängt?** Weil Beschaffung meist im Hintergrund läuft – und erst dann in den Blickpunkt rückt, wenn etwas fehlt. Das kennt jeder aus dem Alltag: Fehlt beim Kochen eine Zutat oder beim Möbelaufbau eine Schraube, steht meist alles still. Im industriellen Maßstab kann das bedeuten: keine Teile, kein Auto. Unsere Lieferketten sind heute hochgradig komplex, global und auf Effizienz ausgelegt. Fällt ein einziges Teil aus, sei es durch eine Naturkatastrophe, einen Cyberangriff oder geopolitische Spannungen, kann dies die Produktion gefährden. Deshalb denken wir bei Porsche Beschaffung heute anders: vorausschauender, vernetzter und deutlich resilienter. **Welche Strategie verfolgen Sie, um Lieferketten auch in Krisenzeiten stabil und widerstandsfähig zu halten?** Entscheidend ist die Transparenz in der gesamten Lieferkette – also über unsere direkten Lieferanten hinaus. Uns interessiert: Wer sind die Partner dahinter? Wo haben sie ihre Standorte und welchen Risiken sind sie ausgesetzt? Dabei simulieren wir beispielsweise Wetterereignisse oder Cyberattacken. Wir bewerten globale Rohstoffverfügbarkeiten und identifizieren Single-Source-Situationen. Über allem steht die Frage: Wo könnte ein möglicher Ausfall besonders kritisch für uns sein? **Und welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie, um Risiken zu minimieren?** Hier braucht es ein ganzes Maßnahmenbündel. Als vergleichsweise kleiner Hersteller können wir nicht überall auf eine Zwei-Lieferanten-Strategie setzen. Stattdessen überlegen wir uns etwa, wo wir bei kritischen Materialien gezielt Lagerbestände in Werksnähe aufbauen. Oder wir beauftragen zusätzliche Werkzeugsätze, die bei Bedarf schnell aktiviert werden können. **Wie wählen Sie Lieferanten aus, welche Kriterien sind dabei besonders wichtig?** Die Auswahl unserer Lieferanten ist immer Teamwork. Beschaffung, Entwicklung und Produktion arbeiten eng zusammen. Häufig entwickeln wir die Lösungen gemeinsam mit unseren Lieferanten. Hierbei spielt die technische Bewertung in enger Abstimmung mit unserer Entwicklung eine wichtige Rolle. Die Produktion wiederum achtet sehr stark auf die Logistik. Jeder potenzielle Partner durchläuft ein umfassendes Auditverfahren. Dabei geht es um Qualitäts- und Machbarkeitsaudits. Aber auch um eine umfassende Risikoanalyse. Ein fester Bestandteil bei der Auswahl sind zudem Kriterien bei der Nachhaltigkeit. Also rechtliche, ethische und ökologische Standards. >Viele unserer Fahrzeuge sind stark individualisiert – das erfordert flexible, anpassungsfähige Partner. Viele Mittelständler aus Deutschland bieten genau diese Qualität. **Wie wichtig ist Ihnen die Einbindung mittelständischer Lieferanten in Ihrer Lieferkette?** Viele unserer Fahrzeuge sind stark individualisiert – das erfordert flexible, anpassungsfähige Partner. Viele Mittelständler aus Deutschland bieten genau diese Qualität. Vor allem, wenn sie sich in unmittelbarer Werksnähe befinden. Vorteile sind kurze Wege und schnelle Reaktionszeiten. Als in Deutschland verwurzeltes Unternehmen ist uns zudem daran gelegen, die heimische und europäische Lieferkette zu stärken. **Sie haben die Nachhaltigkeit bereits angesprochen. Nochmals konkret: Wie integrieren Sie diese Kriterien in den Beschaffungsprozess?** Wie gesagt, wir denken hier ganzheitlich und in drei Dimensionen: ökologisch, sozial und ethisch. Im ökologischen Bereich legen wir besonderen Wert auf den CO₂-Fußabdruck in der Lieferkette. Hier entscheiden der Energiemix, die verwendeten Rohstoffe und der Anteil an recyceltem Material. Auch der Wasserverbrauch wird immer wichtiger. Soziale und ethische Aspekte sind ebenfalls von Bedeutung. Wir erwarten, dass internationale Arbeitsstandards eingehalten und faire Löhne gezahlt werden. **Wie haben Sie Einkaufprozesse bzw. das Lieferantenmanagement erfolgreich verbessert?** Rund 80 Prozent der Wertschöpfung entsteht bei uns in der Lieferkette. Entsprechend hoch ist die Bedeutung eines effizienten und partnerschaftlich ausgerichteten Lieferantenmanagements. Deshalb setzen wir bewusst früh an: Bereits in der Entwicklungsphase binden wir Lieferanten eng in unsere Prozesse ein. Gemeinsam können wir Kosten optimieren, die Umsetzung garantieren und verlässliche Qualität reproduzieren. Über diesen engen Austausch entstehen belastbare Partnerschaften – von Anfang an. **Wie reagieren Sie auf regionale Marktanforderungen?** Angesichts fragmentierter Märkte gewinnt die regionale Verankerung an Bedeu-tung. In China arbeiten wir beispielsweise gezielt mit starken lokalen Partnern zusammen. Mit dem Ziel, marktgerechte Lösungen zu entwickeln – etwa beim Infotainment. Auch regulatorische Anforderungen erfordern spezifische Lösungen, das Aufspüren innovativer Technologien und innovativer Partner. Immer mehr handelt es sich dabei auch um Start-ups aus branchenfremden Bereichen, etwa beim autonomen Fahren, der Konnektivität oder Software. >Bereits in der Entwicklungsphase binden wir Lieferanten eng in unsere Prozesse ein. Gemeinsam können wir Kosten optimieren, die Umsetzung garantieren und verlässliche Qualität reproduzieren. ## Infos zur Person Barbara Frenkel: Als Kind wollte sie Astronautin werden. Heute leitet Barbara Frenkel das Vorstandsressort Beschaffung der Porsche AG. Frenkel war die erste Frau im Vorstand des Sportwagenherstellers. Sie blickt auf eine mehr als 20-jährige Managementkarriere bei Porsche zurück. Zuvor war sie bei verschiedenen Automobilzulieferern tätig. Barbara Frenkel (62) scheidet zum 19. August 2025 auf eigenen Wunsch aus dem Porsche-Vorstand aus und übergibt ihre Verantwortung an Joachim Schar-nagl (49), der ihre Nachfolge antritt. Privat genießt sie Ausfahrten mit ihrem Oldtimer, einem 911 G-Modell. Sie ist begeisterte Taucherin und unternimmt gerne Ausflüge mit ihrem Hund in die Natur.