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22. Mär 2022

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Business

Dr. Thomas Mannmeusel: Wir brauchen digitalen Appetit

Journalist: Dejan Kosmatin

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Foto: Webasto

Die digitale Transformation als vielschichtiger und dynamischer Prozess, eröffnet Chancen für Wachstum und Wettbewerb. Gleichzeitig sind laufende Anpassungen nötig. Im Dialog mit Dr. Thomas Mannmeusel geht es um stetige und grenzenlose Veränderungsbereitschaft.

Zunehmender Wettbewerbsdruck und immer kürzer werdende Zyklen erfordern Anpassungen bei Geschäftsmodellen, Organisationsstrukturen und Unternehmensprozessen. Die DX muss demnach umfassend und strukturiert angegangen werden. Was sollte dabei beachtet werden?

Der Begriff Digitale Transformation suggeriert einen Prozess, mit einem Anfang und Ende, der irgendwann abgeschlossen ist. Das finde ich irreführend. Ich bevorzuge den Begriff Digitaler Wandel. Das ist zunächst einmal weniger ein technisches als ein gesellschaftliches und kulturelles Ph nomen. Es verändern sich laufend Rahmenbedingungen und damit Lieferketten und Prozesse. Schauen wir uns den Kaufvorgang an: Es geht nicht mehr nur um Preis und Qualität eines Produkts, sondern zunehmend darum, über welche Kanäle ich es beziehen kann, wie die Lieferung erfolgt, die Ware genutzt und der Service erbracht wird. Dabei ist der einzig zulässige Termin jetzt, die einzige Öffnungszeit immer und der einzige Ort der Lieferung überall. Und die globale Digitalisierung überbrückt ja in gewisser Weise Raum und Zeit.

Insofern glaube ich, dass Geschwindigkeit, Flexibilität, Transparenz und Einfachheit die wesentlichen Aspekte sind, um erfolgreich am digitalen Wandel zu partizipieren. Lange Analyse- und Planungsphasen funktionieren immer weniger und auch die Trennung von Kern- und unterstützenden Prozessen, die von unterschiedlichen Abteilungen durchgeführt werden, ist nicht mehr unbedingt zielführend.

Stattdessen sind alle Teilprozesse so abzustimmen, dass sie kundenorientiert und wertschöpfend sind. Im Vordergrund steht also immer weniger „was kann ich besonders gut“ und stattdessen „was will und braucht der Kunde eigentlich“. Das fällt uns kulturell schwer, da die klassische Ingenieursdenkweise nur das Produkt in den Fokus stellt und Prozesse oft nicht bis zum endgültigen Nutzer bzw. bis zur Nutzung gedacht werden.

Die DX soll die operative Exzellenz erhöhen und Stückkosten senken, gleichzeitig zur Differenzierung vom Wettbewerb beitragen und neue Märkte erschließen. Wie kann die Adaptionsfähigkeit im globalen Wettstreit erhöht werden?

Vor allem durch Neugier, Anpassungsfähigkeit und Offenheit gegenüber neuen Arbeitsweisen und -kulturen. Das führt dann möglicherweise zu einer radikalen Vereinfachung der Organisation – so aufgestellt, dass mit digitalen Hilfsmitteln Leistungen erbracht werden können, ohne Reibungsverluste an Abteilungsgrenzen. Weg von Silos, hin zu selbstorganisierten Einheiten mit möglichst wenigen Schnittstellen. Multifunktionale Teams, die ganzheitlich und eigenverantwortlich agieren, ohne sich permanent mit anderen Bereichen abzustimmen. Im Wesentlichen also die intelligente Nutzung agiler Prinzipien.

Zudem brauchen wir mehr digitalen Appetit: Lust, neue Sachen auszuprobieren und dabei das Scheitern auch als gewonnene Erkenntnis zu verstehen. Das Motto muss sein: Don’t tell me! Show me!

Wir brauchen auch mehr Mut, Produkte und Services schneller auf den Markt zu bringen und sie dann im Feldeinsatz in kurzen Iterationen an die sich ändernden Kundenbedürfnisse anzupassen. Hinzu kommen neue Werteversprechen: Produkte sollen umweltfreundlich, nachhaltig, fair und regional sein. Beschaffungs-, Produktions- und Lieferprozesse werden transparent. Das wird auch im B2B-Bereich zunehmend wichtig.

Digitale Herausforderungen werden hinsichtlich Veränderungsfähigkeit und Geschwindigkeit noch steigen. Wie können Kontinuität gesichert, Prozesse standardisiert und gleichzeitig flexibel neue Geschäftsmodelle implementiert werden?

Ab einer gewissen Größenordnung und bei komplexen Leistungen benötigen wir beides: Auf der einen Seite Standardisierung und Optimierung und auf der anderen Seite Flexibilität und Veränderungsfähigkeit.

Das ist natürlich ein gewisses Dilemma. Ein Lösungsansatz könnte darin bestehen, bewährte Prozesse, Methoden und Werkzeuge in Bausteine bzw. Module zu zerlegen und neu mit digitalen Prozessbausteinen zu kombinieren. Es gilt eine so clevere Unternehmensstruktur zu schaffen, die – ähnlich wie Legosteine – auf standardisierten, effizienten Schlüsselfunktionen und Schnittstellen basiert, dabei im Ganzen effizient bleibt und cross-funktional fähig ist, Prozessbausteine immer wieder flexibel neu zusammen zu setzen. Diese disruptive Modularisierung kennen wir aus der Plattformökonomie.

Eine ganz wesentliche Bedeutung haben dabei die Faktoren Mensch, Unternehmens- und Führungskultur. Mitarbeiter wollen im Unternehmen wie auch Zuhause Sicherheit. Die richtigen Unternehmenswerte und Führungsprinzipien, die ja meist langfristig Bestand haben, können eine solche Sicherheit bieten – vorausgesetzt sie sind glaubhaft und werden gelebt. Fühlen sich die Mitarbeiter sicher, erhöht sich auch ihre Veränderungsbereitschaft. Und damit schließt sich der Kreis: Digitaler Wandel ist zu 80 Prozent Changemanagement und nur zu 20 Prozent eine Frage der Technologie.

27. Jun 2025

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Wirtschaft

Nachhaltig, transparent und partnerschaftlich – Im Interview mit Barbara Frenkel, Vorstandsmitglied Porsche AG

**Warum bekommt die Beschaffung oft so wenig Aufmerksamkeit – obwohl so viel von ihr abhängt?** Weil Beschaffung meist im Hintergrund läuft – und erst dann in den Blickpunkt rückt, wenn etwas fehlt. Das kennt jeder aus dem Alltag: Fehlt beim Kochen eine Zutat oder beim Möbelaufbau eine Schraube, steht meist alles still. Im industriellen Maßstab kann das bedeuten: keine Teile, kein Auto. Unsere Lieferketten sind heute hochgradig komplex, global und auf Effizienz ausgelegt. Fällt ein einziges Teil aus, sei es durch eine Naturkatastrophe, einen Cyberangriff oder geopolitische Spannungen, kann dies die Produktion gefährden. Deshalb denken wir bei Porsche Beschaffung heute anders: vorausschauender, vernetzter und deutlich resilienter. **Welche Strategie verfolgen Sie, um Lieferketten auch in Krisenzeiten stabil und widerstandsfähig zu halten?** Entscheidend ist die Transparenz in der gesamten Lieferkette – also über unsere direkten Lieferanten hinaus. Uns interessiert: Wer sind die Partner dahinter? Wo haben sie ihre Standorte und welchen Risiken sind sie ausgesetzt? Dabei simulieren wir beispielsweise Wetterereignisse oder Cyberattacken. Wir bewerten globale Rohstoffverfügbarkeiten und identifizieren Single-Source-Situationen. Über allem steht die Frage: Wo könnte ein möglicher Ausfall besonders kritisch für uns sein? **Und welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie, um Risiken zu minimieren?** Hier braucht es ein ganzes Maßnahmenbündel. Als vergleichsweise kleiner Hersteller können wir nicht überall auf eine Zwei-Lieferanten-Strategie setzen. Stattdessen überlegen wir uns etwa, wo wir bei kritischen Materialien gezielt Lagerbestände in Werksnähe aufbauen. Oder wir beauftragen zusätzliche Werkzeugsätze, die bei Bedarf schnell aktiviert werden können. **Wie wählen Sie Lieferanten aus, welche Kriterien sind dabei besonders wichtig?** Die Auswahl unserer Lieferanten ist immer Teamwork. Beschaffung, Entwicklung und Produktion arbeiten eng zusammen. Häufig entwickeln wir die Lösungen gemeinsam mit unseren Lieferanten. Hierbei spielt die technische Bewertung in enger Abstimmung mit unserer Entwicklung eine wichtige Rolle. Die Produktion wiederum achtet sehr stark auf die Logistik. Jeder potenzielle Partner durchläuft ein umfassendes Auditverfahren. Dabei geht es um Qualitäts- und Machbarkeitsaudits. Aber auch um eine umfassende Risikoanalyse. Ein fester Bestandteil bei der Auswahl sind zudem Kriterien bei der Nachhaltigkeit. Also rechtliche, ethische und ökologische Standards. >Viele unserer Fahrzeuge sind stark individualisiert – das erfordert flexible, anpassungsfähige Partner. Viele Mittelständler aus Deutschland bieten genau diese Qualität. **Wie wichtig ist Ihnen die Einbindung mittelständischer Lieferanten in Ihrer Lieferkette?** Viele unserer Fahrzeuge sind stark individualisiert – das erfordert flexible, anpassungsfähige Partner. Viele Mittelständler aus Deutschland bieten genau diese Qualität. Vor allem, wenn sie sich in unmittelbarer Werksnähe befinden. Vorteile sind kurze Wege und schnelle Reaktionszeiten. Als in Deutschland verwurzeltes Unternehmen ist uns zudem daran gelegen, die heimische und europäische Lieferkette zu stärken. **Sie haben die Nachhaltigkeit bereits angesprochen. Nochmals konkret: Wie integrieren Sie diese Kriterien in den Beschaffungsprozess?** Wie gesagt, wir denken hier ganzheitlich und in drei Dimensionen: ökologisch, sozial und ethisch. Im ökologischen Bereich legen wir besonderen Wert auf den CO₂-Fußabdruck in der Lieferkette. Hier entscheiden der Energiemix, die verwendeten Rohstoffe und der Anteil an recyceltem Material. Auch der Wasserverbrauch wird immer wichtiger. Soziale und ethische Aspekte sind ebenfalls von Bedeutung. Wir erwarten, dass internationale Arbeitsstandards eingehalten und faire Löhne gezahlt werden. **Wie haben Sie Einkaufprozesse bzw. das Lieferantenmanagement erfolgreich verbessert?** Rund 80 Prozent der Wertschöpfung entsteht bei uns in der Lieferkette. Entsprechend hoch ist die Bedeutung eines effizienten und partnerschaftlich ausgerichteten Lieferantenmanagements. Deshalb setzen wir bewusst früh an: Bereits in der Entwicklungsphase binden wir Lieferanten eng in unsere Prozesse ein. Gemeinsam können wir Kosten optimieren, die Umsetzung garantieren und verlässliche Qualität reproduzieren. Über diesen engen Austausch entstehen belastbare Partnerschaften – von Anfang an. **Wie reagieren Sie auf regionale Marktanforderungen?** Angesichts fragmentierter Märkte gewinnt die regionale Verankerung an Bedeu-tung. In China arbeiten wir beispielsweise gezielt mit starken lokalen Partnern zusammen. Mit dem Ziel, marktgerechte Lösungen zu entwickeln – etwa beim Infotainment. Auch regulatorische Anforderungen erfordern spezifische Lösungen, das Aufspüren innovativer Technologien und innovativer Partner. Immer mehr handelt es sich dabei auch um Start-ups aus branchenfremden Bereichen, etwa beim autonomen Fahren, der Konnektivität oder Software. >Bereits in der Entwicklungsphase binden wir Lieferanten eng in unsere Prozesse ein. Gemeinsam können wir Kosten optimieren, die Umsetzung garantieren und verlässliche Qualität reproduzieren. ## Infos zur Person Barbara Frenkel: Als Kind wollte sie Astronautin werden. Heute leitet Barbara Frenkel das Vorstandsressort Beschaffung der Porsche AG. Frenkel war die erste Frau im Vorstand des Sportwagenherstellers. Sie blickt auf eine mehr als 20-jährige Managementkarriere bei Porsche zurück. Zuvor war sie bei verschiedenen Automobilzulieferern tätig. Barbara Frenkel (62) scheidet zum 19. August 2025 auf eigenen Wunsch aus dem Porsche-Vorstand aus und übergibt ihre Verantwortung an Joachim Schar-nagl (49), der ihre Nachfolge antritt. Privat genießt sie Ausfahrten mit ihrem Oldtimer, einem 911 G-Modell. Sie ist begeisterte Taucherin und unternimmt gerne Ausflüge mit ihrem Hund in die Natur.