2. Sep 2022
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Gesellschaft
Journalist: Thomas Soltau
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Foto: Dylan Nolte/unsplash; Presse
In den nächsten Jahren werden Millionen an Fachkräften fehlen. Drei Experten antworten auf eine Frage:
Der Fachkräftemangel macht sich jetzt schon bemerkbar und er wird noch zunehmen. Welche Wege führen aus der Krise?
Foto: Presse/ADG
Volkswirtschaftlich gesehen sind die Mobilisierung von Frauen durch eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Integration eingewanderter Menschen, die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer bis zum rechnerischen Renteneintrittsalter sowie die Intensivierung von Aus- und Weiterbildung sinnvolle Schritte aus der Krise.
Unternehmen selbst haben zahlreiche Möglichkeiten, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Die Akademie Deutscher Genossenschaften hat dazu ein praxisorientiertes Modell mit dem Schwerpunkt „Neues Arbeiten“ entwickelt. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die Veränderung des Mindsets auf Unternehmensebene.
So sollten Arbeitgeber zur Bindung von Beschäftigten flexible Arbeitszeiten und mobiles Arbeiten anbieten und eine ausgewogene Work-Life-Balance ermöglichen. Die Gestaltung der Arbeitsplätze mit Kreativräumen und Ruhezonen, eine professionelle IT-Ausstattung sowie Weiterbildungs- und Gesundheitsangebote stärken ebenfalls die Bindung der Mitarbeitenden.
Flache Hierarchien geben den Beschäftigten mehr Verantwortung und führen zu höherer Zufriedenheit. Das Gehaltsgefüge sollte angemessen sein, doch das Argument „sicherer Arbeitsplatz“ spielt eine noch größere Rolle – das haben die Erfahrungen aus der Corona-Krise gezeigt.
Vernetzt und zusammengeführt in einem professionellen Employer Branding kann mit den beschriebenen Dimensionen die Arbeitgeberattraktivität langfristig gesteigert und dem Fachkräftemangel aktiv, nachhaltig und erfolgreich begegnet werden.
Foto: Presse
Unternehmen müssen sich für Talente öffnen, an denen sie bisher wenig Interesse hatten: Menschen mit ungeraden Lebensläufen und besonderen Geschichten, aber auch Quereinsteiger*innen. Nicht jede*r hat ein Studium abgeschlossen, das perfekt zum Aufgabenfeld passt. Viele haben gar nicht studiert. Hier ist wichtig, dass Unternehmen weniger auf formale Qualifikationen achten, sondern sich eher fragen, welche Kompetenzen und Fähigkeiten jemand braucht, um einen bestimmten Job gut auszuführen. Ein weiterer wichtiger Faktor: Es wird Zeit, dass Unternehmen Diversität tatsächlich leben und sich nicht nur auf die Fahnen schreiben. Bunte Kampagnen sind super, wichtig ist aber, was Mitarbeitende, die anders sind als die Mehrheit, tagtäglich erleben. Müssen sie sich verstellen? Oder ist das Unternehmen so inklusiv, dass jede*r er*sie selbst sein kann? In jedem Fall gilt es offener für Neues und Unbekanntes zu werden und eine Arbeitskultur zu schaffen, in der sich jede*r wohlfühlen kann, egal, wie unterschiedlich die Menschen sind.
Foto: BVMW/Annemarie Thiede
Der Fachkräftemangel in Deutschland hat sich längst zu einem Arbeitskräftemangel ausgeweitet: Egal ob das Chaos an Flughäfen, geschlossene Restaurants oder das Warten auf den Handwerker – es fehlt qualifiziertes Personal über alle Branchen und alle Funktionen hinweg. Dabei war diese Katastrophe absehbar, die demografische Entwicklung seit Jahren bekannt. Doch anstatt zu handeln, wurde das Problem ausgesessen. Mit der Folge, dass jetzt die gesamte Wirtschaft betroffen ist. Allein im 2. Quartal gab es deutschlandweit 1,9 Millionen offene Stellen – fast jeder zweite Betrieb sucht. Gerade für den Mittelstand sind fehlende Arbeits- und Fachkräfte existenzbedrohend. Je kleiner eine Unternehmung ist, umso stärker wirken sich fehlende Kräfte aus. Und die nächsten Jahre zeigen keine Besserung: Bis 2036 geht ein Drittel der heute Erwerbstätigen in Rente.
Dieser Krise lässt sich daher nur mit einem deutlicheren Kurswechsel begegnen. Nicht nur, dass das hiesige Arbeitskräftepotenzial deutlicher ausgeschöpft werden muss, auch die Einwanderung von Fachkräften muss verbessert werden. Gefragt ist ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das wirklich funktioniert. Aktuell ist der bürokratische Aufwand zu hoch und die Anerkennung beruflicher Qualifikation zu praxisfern. Das kann Bundesminister Heil mit seiner angekündigten Reform des Einwanderungsrechts korrigieren. Es drängt. Aber auch die Bildungspolitik muss sich ändern: Es kann nicht sein, dass jedes Jahr immer mehr die Schulen ohne Abschluss verlassen. Auch erfordert der Fachkräftemangel in Handwerk und Produktion eine größere Aufmerksamkeit für die duale Ausbildung. Denn was wir brauchen, sind einfach wieder mehr Praktiker:innen.