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19. Jun 2024

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Wirtschaft

Hoffnungsträger der Energiewende

Journalist: Julia Butz

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Foto: Crystal Kwok/unsplash

Als kleinstes Element des chemischen Periodensystems soll Wasserstoff auf dem Weg zu Klimaneutralität Großes leisten.

Bei der Transformation der Energiewende bekommt Wasserstoff (H2) eine zentrale Rolle. H2 kann klimafreundlich hergestellt, transportiert und insbesondere langfristig in großen Mengen gespeichert werden. Eines der Kernprobleme der erneuerbaren Energieerzeugung würde damit gelöst. Neben der von Wind und Sonne abhängigen erneuerbaren Energieerzeugung kann grüner Wasserstoff so zur wichtigen zweiten Säule einer klimafreundlichen Versorgungssicherheit werden, als Alternative zu fossilen Energieträgern. Zudem kann umweltfreundlich hergestelltes H2 dort eingesetzt werden, wo die Nutzung von Strom aus Erneuerbaren Energien gar nicht oder nicht in ausreichender Menge möglich ist. Mit dem Ziel, durch den vielfältig einsetzbaren Energieträger die CO2-Emissionen am Industriestandort Deutschland, primär im Bereich der Stahl- und Chemieindustrie und – als Grundstoff für CO₂-neutralen Kraftstoff – bei Transport und Schwerlastverkehr deutlich zu verringern.

Mit dem Beschluss der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung von 2020 wird die Forschung, Weiterentwicklung und Umsetzung einer nationalen Versorgung aus klimafreundlich hergestelltem Wasserstoff vorangetrieben. In der Forschung werden dabei verschiedene Technologien beleuchtet. Der Fokus liegt auf der Erzeugung CO2-armen Wasserstoffs, beispielsweise durch Verfahren der Wasserelektrolyse mit Erneuerbaren Energien. Wasserstoff existiert nur in gebundener Form. Um es aus dieser Verbindung zu lösen, wird bei der Wasserelektrolyse durch elektrische Spannung Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Langfristig soll der dazu benötigte Strom ausschließlich aus erneuerbaren Quellen stammen. Wird bei der Wasserelektrolyse Wind- oder Sonnenstrom eingesetzt und somit keine Treibhausgase ausgestoßen, wird 100 Prozent CO2-neutraler, „grüner Wasserstoff“ erzeugt. Auch Bezeichnungen wie „grauer“, „blauer“ oder „türkisfarbener Wasserstoff“ beziehen sich auf die mit der Herstellung verbundenen direkten und indirekten CO2-Emissionen.

Die gängige Form der Wasserstofferzeugung war bislang die Dampfreformierung aus fossilem Erdgas: Grauer Wasserstoff, bei dem rund zehn Tonnen CO2 je Tonne Wasserstoff entstehen*. Bei Blauem Wasserstoff wird das bei dieser Erzeugungsform entstehende CO2 teilweise abgeschieden und mit bis zu 90 Prozent im Erdboden gespeichert. Der Türkise Wasserstoff soll durch die Methan-Pyrolyse hergestellt werden. Dabei wird beim sogenannten Methancracken Erd- oder Biogas durch die Pyrolyse bei sehr hohen Temperaturen in seine chemischen Bestandteile zerlegt, Wasserstoff und Kohlenstoff entstehen. Das Besondere: Der Kohlenstoff fällt dabei in fester Reinform an, ohne klimaschädliches Kohlenstoffdioxid. Weitere Möglichkeit ist die Erzeugung orangefarbenen Wasserstoffs, der ebenso als CO2-frei gilt. Hier kommt Strom aus Anlagen der Abfall- und Reststoffwirtschaft bzw. aus Biogasanlagen zum Einsatz. Allerdings lassen sich bei dieser Herstellungsvariante nicht die für den großen Bedarf erforderlichen Mengen produzieren. Somit gilt nur Grüner Wasserstoff – ohne fossilen Rohstoff und in ausreichender Menge produzierbar – als langfristig klimaneutral.

  • Lt. Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF

Interessanter Fakt:

Der Aktionsplan der Nationalen Wasserstoffstrategie sieht den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur vor, die bis 2035 flächendeckend und über Wasserstoffpipelines vernetzt, große Mengen an Gas aus heimischer Erzeugung speichert sowie CO2-neutralen Wasserstoff zur weiteren Deckung des Bedarfs importiert.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.