20. Sep 2022
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Gesellschaft
Journalist: Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienverbands Deutschland IVD | Die Immobilienunternehmer
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Foto: Presse
Mit Blick auf die aktuelle gesamtwirtschaftliche Lage haben wir es mit einem äußerst schnelllebigen und komplexen Geschehen zu tun. Dabei gibt es zweifelsohne selten da gewesene Verwerfungen – die Energiekrise gehört mit Sicherheit dazu. Auch am Immobilienmarkt gibt es Bewegungen. Inflation, steigende Zinsen, hohe Baukosten, Material- und Rohstoffmangel – das ist eine Mixtur für eine kräftige Brise.
Mein Appell lautet trotzdem: Lassen Sie uns nicht den Teufel an die Wand malen und bei erster Gelegenheit vom Platzen einer Blase reden – einer Blase, die es ohnehin nicht gibt. Für mich steht fest: Der deutsche Immobilienmarkt ist im Kern gesund. Ein zeitweiliges Auf und Ab der Preise und Zinsen ist normal und gehört zu einem organischen Marktgeschehen. Dies zeigt auch, wie vielfältig der Immobilienmarkt ist und wie differenziert die Entwicklungen zu analysieren sind.
Eindeutig zu langsam voran kommt beispielsweise die Angebotsausweitung. Hierbei besteht Handlungsdruck, denn wir brauchen in den kommenden Jahren viel mehr neuen Wohnraum, um die angespannten Wohnungsmärkte nachhaltig zu entlasten. Dies bestätigt bereits der Status quo: Im ersten Halbjahr 2022 wurden dem Statistischen Bundesamt zufolge rund zwei Prozent weniger Wohnungen als im Vorjahreszeitraum genehmigt. Während die Zahl der Baugenehmigungen für Mehrfamilienhäuser einen Aufwärtstrend aufweist, ist sie für Einfamilienhäuser um 17 Prozent zurückgegangen.
Wir müssen uns klarmachen, was diese Zahlen bedeuten. Es droht nämlich eine Spirale nach unten. Ohne ein größeres Angebot ist eine Entspannung der Mietmärkte kaum zu erreichen. Und jedes Wohnungsbauprojekt, das jetzt nicht angestoßen wird, fehlt mittel- und langfristig in den Auftragsbüchern der Bauunternehmen, was wiederum zu einem Exodus der Arbeits- und insbesondere Fachkräfte führen könnte. Das muss auf jeden Fall verhindert werden.
Unterm Strich bedeutet das: Ein „Weiter so“ seitens der Politik kann es angesichts dieser dynamischen Entwicklungen nicht geben – vor allem dann nicht, wenn sie es ernst meint mit der Schaffung bezahlbaren, klimaschonenden Wohnraums. Denn ein „Weiter so“ führt früher oder später dazu, dass das wichtige Ziel, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, in weite Ferne rückt.
Dafür ist aber eine Förderkulisse notwendig, die nicht dauernd kurzfristig gekürzt, komplett verändert oder gänzlich gestoppt wird, wie wir es in den vergangenen Monaten erlebt haben. Planbarkeit und Verlässlichkeit lauten hier die Zauberworte für die Politik.
Neben einer auskömmlichen Förderung für Neubau, Umnutzung und Aufstockung muss natürlich auch das Thema Klimaschutz im Gebäudesektor konsequenter angegangen werden. Hierbei steht die Politik häufig sich und ihren selbst gesetzten Zielen im Weg, indem beispielsweise in den A-Städten immer mehr Milieuschutzgebiete ausgewiesen werden. In Berlin sind es mehr als 70, und auch in Köln, Hamburg und München wächst ihre Zahl. Der Milieuschutz verbietet aber in vielen Fällen die energetische Sanierung von Wohngebäuden. Viele Mieter leben deshalb in nahezu unsanierten Wohnungen und sind nun der bevorstehenden Schockwelle der Energiepreiskrise voll ausgesetzt. Derartige Zielkonflikte müssen schleunigst aufgelöst werden.