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5. Dez 2022

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Business

Immer wieder umzudenken ist der Schlüssel, um in Zukunft erfolgreich zu sein

Journalist: Katja Deutsch

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Foto: Tom Wagner

Fränzi Kühne hat im Alter von 25 Jahren TLGG gegründet, die erste Digitalagentur Deutschlands. Sie ist Autorin, CDO bei edding AG, Beirat der Allbright Stiftung, im Aufsichtsrat der Württembergischen Versicherung AG und im Advisory Council von 365 Sherpas. Im Interview spricht sie über die Herausforderung für Unternehmen in unsicheren Zeiten.

Frau Kühne, sind Sie ein Superorganisationstalent?

Ich finde es spannend, in Aufsichtsräten und Beiräten zu sitzen und dadurch anderen Input zu bekommen, denn es ist mir auch wichtig, gesellschaftliche Themen voranzubringen. Meiner Arbeit bei edding tut dieser Einsatz auch gut, denn dadurch bekomme ich neue Inspirationen und sehe viele Dinge aus einem anderen Blickwinkel. Dazu gehörte in der Tat eine wahnsinnig große Organisation und in manchen Phasen bedeutet das auch, Dinge hin und her zu schieben und manchmal auch, Dinge abzusagen. Denn auch mit meiner Familie möchte ich Zeit verbringen. Aber insgesamt macht mir die Organisation Spaß und ich bin sehr strukturiert damit.

Sie haben die erste Digitalagentur Deutschlands gegründet, Torben, Lucie und die gelbe Gefahr. Warum haben Sie sie verlassen?

TLGG habe ich im Alter von 25 Jahren gegründet und die ersten Jahre ausschließlich dafür gearbeitet, ich hatte meine Freunde in der Agentur und keine Hobbys mehr. Ich habe die Agentur elf Jahre lang mit wachsender Verantwortung geführt, doch für die große Vision, international zu werden, gibt es bessere als mich. Trotzdem hat diese Entscheidung Monate gedauert und ich habe mich dazu einer Coaching Session unterzogen. Ich betone das, weil ich sonst immer alles sehr schnell entscheide. Doch es gab tatsächlich diesen Schlüsselmoment im Coaching, wo ich gefühlt habe, jetzt ist der richtige Zeitpunkt zu gehen.

Rückblickend wirkt mein Leben sehr gradlinig, aber weder ein Buch zu schreiben noch in Aufsichtsräte zu kommen waren geplant – ich mache keine Drei-Jahrespläne, bin froh, wenn ich die nächsten drei Monate planen kann. Nach dem Ausstieg wollte ich mit meiner Familie eine Weltreise machen, aber dann kam Corona.

Beim Aufsichtsrat einer Versicherung denkt man an Zahlen, Bilanzen und Tarifeinteilungen. Was reizt Sie an der sehr konservativen Versicherungsbranche?

Als der Aufsichtsrat der Württembergischen Versicherung neu besetzt werden sollte, haben wir gemerkt, dass ich da ganz gut hineinpasse. Denn bei einer Versicherung geht es ja nicht nur um diese ganzen trockenen Themen, sondern eben auch um die Transformation des gesamten Unternehmens, weil da auch viel Digitalisierung mit reinspielt.

Es hat mich gereizt, völlig außerhalb meiner Komfortzone zu sein und mich ganz neu in Themen reinzufuchsen. Ich habe nun verstanden, wie eine Versicherung funktioniert und welche Punkte dabei eine Rolle spielen.

Gibt es Herausforderungen, die Unternehmen, Stiftungen, Agenturen und Versicherungen alle gleichermaßen spüren?

Ja. Wir leben in einer Zeit überlappender Probleme, die alle Bereiche betreffen und die nicht wieder einfach so weggehen werden. Viele straucheln, wissen nicht, wie es weitergeht, merken, dass ihr bisheriges Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Im ersten Moment greifen dann viele zu Maßnahmen wie Hiring Freeze, stellen also niemanden mehr ein, und kürzen Marketing Budget, stoppen CSR-Maßnahmen und Innovationen.

Aber das ist falsch! Man sollte jetzt in die Organisationsstruktur investieren und Mitarbeiter einstellen, die flexibel auf Probleme und Krisen reagieren, die dieses Mindset mitbringen, immer wieder umzudenken und nicht am Alten festzuhalten. Veränderungen hören nicht auf!

Krisen werden sich abwechseln, manche gehen, neue kommen. Doch was bleibt, sind unsichere Zeiten, in denen man seine Organisation so aufbauen muss, dass man schnell und flexibel reagieren kann.

Es geht also nichts mehr ohne Change Management?

Change Management brauchen alle, aber jede Organisation muss für sich selbst herausfinden, was sie ändern sollte, denn dafür gibt es keine Blaupause. Ob umgestellt wird auf agile Prozesse oder ein Hybridmodell oder ob (wie vor fünf Jahren) plötzlich alle arbeiten wollen wie bei Spotify, nämlich in Squads, Tribes, Chapters und Guilds – nicht alles passt auf jede Organisation.

Kann ein Unternehmen, das Home Office verbietet und nicht divers einstellt, überhaupt noch zukunftsfähig sein?

Man kann auch die Leistung seiner Angestellten messen, wenn man sie nicht permanent vor sich sieht. Das ist modernes Führungsdenken. Die Basics müssen zusammengehalten werden, und das bedeutet für mich, eine starke Vision zu haben: Eine Strategie, die allen Mitarbeitenden bekannt ist, und die auf alle Menschen bis in die kleinsten Prozesse Anwendung findet. Viele Menschen sind so dankbar, dass sie seit Corona im Home Office arbeiten dürfen, denn dort sind sie erstens produktiver und zweitens glücklicher. Es stimmt nämlich erwiesenermaßen gar nicht, dass Menschen im Büro produktiver sind. Der Spruch „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ beweist nur, dass die Vorgesetzten ihren Mitarbeitern eben nicht vertrauen – und wie soll man dann gut zusammenarbeiten?

Ohne Diversität ist ein Unternehmen heute auf gar keinen Fall mehr zukunftsfähig. Viele Studien belegen das, selbst Banken sind damit wirtschaftlich erfolgreicher. Unternehmen müssen neue Arten der Zusammenarbeit ausprobieren, denn viele Talente sind nicht mehr bereit, an Orten zu leben, die sie nicht mögen und ihr ganzes Leben nur dem Job zu opfern.

Wie können Mittelstand und Startups voneinander profitieren, um unsere Wirtschaft insgesamt zu stärken?

Der Mittelstand kann sich immer wieder Inspirationen holen und von dem Innovation Hub der Startups profitieren. Das darf dann aber nicht nur ein kleiner Funke sein, sondern muss ins Unternehmen integriert werden. Auch hier ist die Basis dafür eine Kultur der Offenheit und das Mindset der Menschen.