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1. Sep 2023

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Business

Jetzt gilt es, das Gesamtsystem auf die CO2-freie Mobilität umzustellen

Journalist: Katja Deutsch

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Foto: The Ride Academy/unsplash, BEM e.V.

Kurt Sigl, Präsident des BEM | Bundesverband eMobilität über die Zeitenwende einer großen Leistungsschau.

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Kurt Sigl, Präsident des BEM | Bundesverband eMobilität e. V.

Die Besucher der diesjährigen IAA in München sollten sich ihre Tickets gut aufheben, zumindest empfiehlt das Kurt Sigl, Präsident beim Bundesverband eMobilität (BEM). Vermutlich seien es die letzten Einlassbescheinigungen für einen Ort, der früher mal Wohlstand und Wachstum versprochen hat. Nach Sigls Dafürhalten dürfte die Messe in diesem Jahr ein Enttäuschungs-Parcours werden: darüber nämlich, wer und was alles nicht zu sehen sein wird. Die europäische Leitmesse, der Genfer Autosalon, hat ihre Show bereits abgesagt, der Trend sei klar, „die Zeit für Automessen ist vorbei.“

Die Elektromobilität bedeutet eine Zeitenwende für den deutschen Automobilstandort. „Eigentlich wissen wir das schon seit über 15 Jahren, doch viele in der Branche verstehen es erst jetzt, seitdem Volkswagen die Marktführerschaft in China an BYD verloren hat – an einen ehemaligen Batteriehersteller!“, so der BEM-Präsident. Unter den zehn meistverkauften E-Autos der Volksrepublik ist seit diesem Jahr kein einziges deutsches Modell mehr vertreten.

Während China zwischen 2018 und 2021 laut dem Zentrum für strategische und internationale Studien rund 66 Milliarden US-Dollar in die Elektromobilität investierte, hat der deutsche Staat von 2016 bis 2021 Elektroautos mit gerade einmal 4,6 Milliarden Euro gefördert.

Der Grund ist, dass die Menschen keine ausgereifte Motorentechnik mehr brauchen, sondern Software-Lösungen zur Kommunikation, alternative Energie und Speicher. Von all dem hat Deutschland nur wenig. Während China zwischen 2018 und 2021 laut dem Zentrum für strategische und internationale Studien rund 66 Milliarden US-Dollar in die Elektromobilität investierte, hat der deutsche Staat von 2016 bis 2021 Elektroautos mit gerade einmal 4,6 Milliarden Euro gefördert.

Hiesige Automobilhersteller haben den Wandel gemeinsam mit der deutschen Politik lange bekämpft und die Debatte über angebliche Möglichkeiten mit Wasserstoff oder synthetischen Treibstoff hat die Lage verschlimmert, so sieht es der Verband. Tesla und auch asiatische Unternehmen konnten den E-Auto-Markt unbehelligt betreten und einen riesigen elektromobilen Vorsprung erarbeiten. Inzwischen sehen Experten der Elektromobilität den Wettlauf um das Fahrzeug aus deutscher Sicht verloren, allein im Dialog mit der Energie lägen noch Wettbewerbs-Chancen.

Deshalb schwärmt Kurt Sigl auch von der Power2Drive, einer Messe im Juni, bei der die Solarindustrie, Digitalisierer, Stromnetz-Wirtschaft und Mobilitäts-Unternehmen ihre Geschäftsmodelle vernetzen. „Diese Kombination aus Mobilitäts- und Energiewende verspricht ökologisches, bezahlbares und attraktives Wirtschaften der Zukunft.“

Natürlich gibt es vereinzelt auch Autos auf den neuen Messen zu sehen. Reinsetzen, anfassen und Probe fahren bleiben wichtig. Kenner der Branche betrachten das aber als nachgelagert zu den Fragen Kosten, Konnektivität, digitale Nutzbarkeit und Smart Mobility in Verbindung mit Energiemanagementsystemen.

Insgesamt ist der Weg in die Elektromobilität gesetzt. Nicht nur, weil die Gesellschaften mit Blick auf die Umwelt unverzüglich handeln müssen, sondern weil die Technologie verfügbar, bezahlbar und effizient ist. Darin sind sich inzwischen auch die Hersteller gewerblicher Fahrzeuge nahezu einig. Kurt Sigl: „Jetzt gilt es, das Gesamtsystem auf die CO2-freie Mobilität umzustellen: Ausbau der Ladeinfrastruktur, Abbau der Vorteile fossiler Kraftstoffe, Entwicklung besserer Software-Lösungen, Öffnung der Fahrzeugpallette für Leichtfahrzeuge, um die Städte von Riesenfahrzeugen zu entlasten und nicht zuletzt gute Mobilitätsangebote für Familien, Senioren und Berufstätige zu schaffen“.

27. Jun 2025

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Wirtschaft

Nachhaltig, transparent und partnerschaftlich – Im Interview mit Barbara Frenkel, Vorstandsmitglied Porsche AG

**Warum bekommt die Beschaffung oft so wenig Aufmerksamkeit – obwohl so viel von ihr abhängt?** Weil Beschaffung meist im Hintergrund läuft – und erst dann in den Blickpunkt rückt, wenn etwas fehlt. Das kennt jeder aus dem Alltag: Fehlt beim Kochen eine Zutat oder beim Möbelaufbau eine Schraube, steht meist alles still. Im industriellen Maßstab kann das bedeuten: keine Teile, kein Auto. Unsere Lieferketten sind heute hochgradig komplex, global und auf Effizienz ausgelegt. Fällt ein einziges Teil aus, sei es durch eine Naturkatastrophe, einen Cyberangriff oder geopolitische Spannungen, kann dies die Produktion gefährden. Deshalb denken wir bei Porsche Beschaffung heute anders: vorausschauender, vernetzter und deutlich resilienter. **Welche Strategie verfolgen Sie, um Lieferketten auch in Krisenzeiten stabil und widerstandsfähig zu halten?** Entscheidend ist die Transparenz in der gesamten Lieferkette – also über unsere direkten Lieferanten hinaus. Uns interessiert: Wer sind die Partner dahinter? Wo haben sie ihre Standorte und welchen Risiken sind sie ausgesetzt? Dabei simulieren wir beispielsweise Wetterereignisse oder Cyberattacken. Wir bewerten globale Rohstoffverfügbarkeiten und identifizieren Single-Source-Situationen. Über allem steht die Frage: Wo könnte ein möglicher Ausfall besonders kritisch für uns sein? **Und welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie, um Risiken zu minimieren?** Hier braucht es ein ganzes Maßnahmenbündel. Als vergleichsweise kleiner Hersteller können wir nicht überall auf eine Zwei-Lieferanten-Strategie setzen. Stattdessen überlegen wir uns etwa, wo wir bei kritischen Materialien gezielt Lagerbestände in Werksnähe aufbauen. Oder wir beauftragen zusätzliche Werkzeugsätze, die bei Bedarf schnell aktiviert werden können. **Wie wählen Sie Lieferanten aus, welche Kriterien sind dabei besonders wichtig?** Die Auswahl unserer Lieferanten ist immer Teamwork. Beschaffung, Entwicklung und Produktion arbeiten eng zusammen. Häufig entwickeln wir die Lösungen gemeinsam mit unseren Lieferanten. Hierbei spielt die technische Bewertung in enger Abstimmung mit unserer Entwicklung eine wichtige Rolle. Die Produktion wiederum achtet sehr stark auf die Logistik. Jeder potenzielle Partner durchläuft ein umfassendes Auditverfahren. Dabei geht es um Qualitäts- und Machbarkeitsaudits. Aber auch um eine umfassende Risikoanalyse. Ein fester Bestandteil bei der Auswahl sind zudem Kriterien bei der Nachhaltigkeit. Also rechtliche, ethische und ökologische Standards. >Viele unserer Fahrzeuge sind stark individualisiert – das erfordert flexible, anpassungsfähige Partner. Viele Mittelständler aus Deutschland bieten genau diese Qualität. **Wie wichtig ist Ihnen die Einbindung mittelständischer Lieferanten in Ihrer Lieferkette?** Viele unserer Fahrzeuge sind stark individualisiert – das erfordert flexible, anpassungsfähige Partner. Viele Mittelständler aus Deutschland bieten genau diese Qualität. Vor allem, wenn sie sich in unmittelbarer Werksnähe befinden. Vorteile sind kurze Wege und schnelle Reaktionszeiten. Als in Deutschland verwurzeltes Unternehmen ist uns zudem daran gelegen, die heimische und europäische Lieferkette zu stärken. **Sie haben die Nachhaltigkeit bereits angesprochen. Nochmals konkret: Wie integrieren Sie diese Kriterien in den Beschaffungsprozess?** Wie gesagt, wir denken hier ganzheitlich und in drei Dimensionen: ökologisch, sozial und ethisch. Im ökologischen Bereich legen wir besonderen Wert auf den CO₂-Fußabdruck in der Lieferkette. Hier entscheiden der Energiemix, die verwendeten Rohstoffe und der Anteil an recyceltem Material. Auch der Wasserverbrauch wird immer wichtiger. Soziale und ethische Aspekte sind ebenfalls von Bedeutung. Wir erwarten, dass internationale Arbeitsstandards eingehalten und faire Löhne gezahlt werden. **Wie haben Sie Einkaufprozesse bzw. das Lieferantenmanagement erfolgreich verbessert?** Rund 80 Prozent der Wertschöpfung entsteht bei uns in der Lieferkette. Entsprechend hoch ist die Bedeutung eines effizienten und partnerschaftlich ausgerichteten Lieferantenmanagements. Deshalb setzen wir bewusst früh an: Bereits in der Entwicklungsphase binden wir Lieferanten eng in unsere Prozesse ein. Gemeinsam können wir Kosten optimieren, die Umsetzung garantieren und verlässliche Qualität reproduzieren. Über diesen engen Austausch entstehen belastbare Partnerschaften – von Anfang an. **Wie reagieren Sie auf regionale Marktanforderungen?** Angesichts fragmentierter Märkte gewinnt die regionale Verankerung an Bedeu-tung. In China arbeiten wir beispielsweise gezielt mit starken lokalen Partnern zusammen. Mit dem Ziel, marktgerechte Lösungen zu entwickeln – etwa beim Infotainment. Auch regulatorische Anforderungen erfordern spezifische Lösungen, das Aufspüren innovativer Technologien und innovativer Partner. Immer mehr handelt es sich dabei auch um Start-ups aus branchenfremden Bereichen, etwa beim autonomen Fahren, der Konnektivität oder Software. >Bereits in der Entwicklungsphase binden wir Lieferanten eng in unsere Prozesse ein. Gemeinsam können wir Kosten optimieren, die Umsetzung garantieren und verlässliche Qualität reproduzieren. ## Infos zur Person Barbara Frenkel: Als Kind wollte sie Astronautin werden. Heute leitet Barbara Frenkel das Vorstandsressort Beschaffung der Porsche AG. Frenkel war die erste Frau im Vorstand des Sportwagenherstellers. Sie blickt auf eine mehr als 20-jährige Managementkarriere bei Porsche zurück. Zuvor war sie bei verschiedenen Automobilzulieferern tätig. Barbara Frenkel (62) scheidet zum 19. August 2025 auf eigenen Wunsch aus dem Porsche-Vorstand aus und übergibt ihre Verantwortung an Joachim Schar-nagl (49), der ihre Nachfolge antritt. Privat genießt sie Ausfahrten mit ihrem Oldtimer, einem 911 G-Modell. Sie ist begeisterte Taucherin und unternimmt gerne Ausflüge mit ihrem Hund in die Natur.