30. Sep 2022
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Business
Journalist: Thomas Soltau
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Foto: Kaitlyn Baker/unsplash
Als Senior Consultant bei IDC unterstützt Marco Becker Unternehmen in Fragen der IT-Sicherheit. Im Interview erzählt er, wo die größten Gefahren lauern.
Marco Becker, Senior Consultant bei IDC; Foto: Presse/IDC
Gleich mal eine provokante Frage: Ist Deutschland ein Entwicklungsland bezüglich der IT-Sicherheit?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Öffentlich gewordene Vorfälle hört man nicht nur aus Deutschland, sondern von überall. Deutsche Unternehmen sind in Relation zu anderen Industrieländern nicht wesentlich schlechter aufgestellt. Mit Blick auf das absolute Sicherheitsniveau gibt es aber für Unternehmen weltweit noch viel zu tun.
Besonders während der Arbeit im Homeoffice wurden zum Teil Lücken in Security-Konzepten sichtbar. Was muss sich hier ändern?
Ein Aspekt sind Richtlinien für das Homeoffice. Laut IDC Studien aus 2021 gab es diese auch über ein Jahr nach Pandemiestart nur in gut einem Drittel der Unternehmen. Auch sollten moderne Konzepte wie Zero Trust und Least Privilege strikt umgesetzt werden. Und schließlich müssen die Endnutzer unterstützt werden. Angriffe über Phishing und Social Engineering sind vermeidbar, wenn Nutzer durch Awareness-Programme geschult und mit technologischen Maßnahmen wie Single-Sign-On und Passwortmanager unterstützt werden.
Wo lauern die größten Gefahren für die IT-Sicherheit?
Auf jeden Fall darin, keine Strategie zu haben. Man muss sich immer wieder fragen: Wie wird mein Unternehmen in Zukunft aussehen? Und daraus muss dann eine passende Security-Architektur abgeleitet werden. Eine weitere Gefahr ist der Fachkräftemangel in der Cybersecurity. Unternehmen müssen in die Personalentwicklung, Automation und Analytics sowie externe Dienstleistungen investieren, um die stetig wachsenden Security-Anforderungen zu bewältigen.
Eine der größten Herausforderungen in heutigen IT-Umgebungen, ist ihre gesamte Komplexität zu erfassen und sie lückenlos abzusichern. Welche Anforderungen müssen Security-Lösungen künftig erfüllen?
Ich fasse es mal in fünf Punkte zusammen: Ganzheitlichkeit, Integrationsfähigkeit, Agilität, Intelligenz und Leistungsfähigkeit. IT-Landschaften wachsen und verteilen sich über die ganze Welt. Deswegen braucht es Ganzheitlichkeit und Integrationsfähigkeit, um keine Lücken zu lassen. Agilität ist nötig, um sich an ständig ändernde Business-Prozesse und IT-Landschaften anpassen zu können. Und Intelligenz sowie Leistungsfähigkeit werden gebraucht, um die Massen an Security-Meldungen effektiv und effizient zu verarbeiten.
In vielen Unternehmen zeigt sich das Bild der Insel-Lösungen bei der IT. Verschiedene Software-Lösungen sollen kompatibel miteinander kommunizieren. Ist das nicht ein offenes Tor für Cyberattacken?
Nein, im Gegenteil. Viele Attacken fallen oft deswegen nicht auf, weil Security-Lösungen und -Teams zwar etwas bemerken, in ihrem isolierten Wirkbereich aber keine Gefahr erkennen können und Meldungen nicht weiter beachten. Erst durch die Verbindung einzelner Puzzlestücke wird das komplette Bild und damit eine Attacke sichtbar. Es ist also wichtig, dass Security-Lösungen standardisiert miteinander kommunizieren können, damit Security-Algorithmen und -Teams übergreifende Anomalien erkennen können.
Welche Herausforderungen gibt es beim Schutz von Identitäten und Digital Trust und inwiefern ist die User-Experience bereits ein fester Bestandteil der Security-Designs?
Der Schutz und die Integrität von Identitäten werden immer mehr zur Voraussetzung, um überhaupt digital Geschäfte abzuschließen. Das „digitale Vertrauen“ von Kunden, Partnern und Behörden aufrechtzuerhalten, wird deswegen zu einem signifikanten Business-Faktor. Auch die User Experience ist dabei ein wichtiger Punkt, denn wenn Security-Maßnahmen stören, neigen Nutzer dazu, sie zu umgehen – zum Beispiel den regelmäßigen Passwortwechsel. In diesem Sinne gibt es noch viel Spielraum, um Security-Designs zu optimieren.
Erfolgte Attacken zu verstehen und dieses Wissen wiederum zur Prävention zu nutzen, ist wichtig. Beschäftigen sich Unternehmen zu wenig mit dem Thema?
Das ist leider so – in einer Befragung im letzten Jahr hatte nur gut jedes vierte deutsche Unternehmen ab 100 Mitarbeitern Tools oder Services für forensische Analysen im Einsatz – der niedrigste Wert unter allen Security-Lösungsbereichen. Hier müssen Unternehmen aktiver werden, denn die Folgen zu beseitigen, ohne die Ursachen zu kennen ist nicht nachhaltig.
Was spricht aus Sicht von Unternehmen für und gegen externe IT-Security?
Dafür sprechen Fachkräftemangel, steigende Komplexität und Managementaufwände. Externe IT-Security per Managed Services oder aus der Cloud kann diese Probleme verkleinern. Dagegen sprechen mangelndes Vertrauen, Kontrollverlust und Kosten. Hier müssen sich Unternehmen aber fragen: Kann ich es besser und was wären die Kosten potenzieller Vorfälle?
Ihr Unternehmen IDC gibt regelmäßig Prognosen für die Zukunft heraus. Eine lautet: Bis 2023 werden 55 % der Unternehmen die Hälfte ihrer Sicherheitsbudgets für technologieübergreifende Ökosysteme/Plattformen bereitstellen. Frommer Wunsch oder Realität?
Aus meiner Sicht auch ein frommer Wunsch, weil es aus reinem Selbsterhaltungstrieb notwendig ist. Und in der Realität werden die größeren, die kritischen und die strategisch wichtigen Unternehmen durch das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 kaum umhinkommen und hoffentlich viele Partner in den Wertschöpfungsketten und Konkurrenten mitziehen.