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16. Okt 2025

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Wirtschaft

KI in der Lieferkette neu denken – mit Dr. Paulina Prantl, Abteilungsleitung „Analytics“, Fraunhofer IIS

Journalist: Thomas Soltau

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Foto: Homa Appliances/unsplash, Fraunhofer IIS/Paul Pulkert

Die Logistikbranche steht vor einem Umbruch. Künstliche Intelligenz kann Prozesse beschleunigen, Kosten senken und Klimaeffekte messbar machen. Wie realistisch ist der breite Einsatz – und welche ersten Schritte lohnen sich für Unternehmen? Darüber spricht Dr. Paulina Prantl, Expertin im Bereich Supply Chain Services des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS.

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Dr. Paulina Prantl, Abteilungsleitung „Analytics“, Fraunhofer IIS

Wo hebt KI heute den größten Nutzen entlang der Wertschöpfungskette? Eine pauschale Antwort gibt es nicht, denn der Nutzen hängt stark von den Prozessen im Unternehmen ab. Es lassen sich drei Dimensionen unterscheiden. Ökonomisch ermöglicht KI schnellere Abläufe, die Identifikation von Engpässen, effizientere Planung und flexiblere Personaleinsätze. Ökologisch können Energieverbrauch in Lagern und Transportemissionen reduziert werden. Sozial bedeutet KI oft Entlastung und Unterstützung im Alltag.

Was bremst den breiten Einsatz – und wie löst man es pragmatisch? Vor allem fehlt Wissen im Umgang mit KI. Hinzu kommen rechtliche Unklarheiten, unzureichende Datengrundlage, inkompatible Systeme, Kosten und Angst vor Arbeitsplatzverlust. Wichtig ist, mit einer klaren Strategie und realistischen Use Cases zu beginnen. Dafür führen wir in der Regel Workshops samt Roadmap und realistischem ROI-Zielbild durch. Jedes Unternehmen tickt anders, deshalb braucht es individuelle Ansätze.

Wie geht man mit lückenhaften Daten um? Wir setzen auf Data-Centric-Methoden wie gezielte Aufbereitung, Augmentierung oder synthetische Daten.

Wichtig ist, mit einer klaren Strategie und realistischen Use Cases zu beginnen.

Kann generative KI operative Entscheidungen unterstützen, ohne zur Blackbox zu werden? Ja, etwa über Retrieval Augmented Generation, das Antworten mit geprüften Quellen verknüpft. Explainable-AI-Methoden wie Visualisierungen machen Ergebnisse nachvollziehbar. Aber: Halluzinationen sind möglich. Mitarbeitende müssen geschult werden, Ergebnisse kritisch einzuordnen.

Wie gelingt der Schritt vom Pilotprojekt zum Rollout – auch im Kontext EU-AI-Act? Im Rollout sind Betriebskonzepte, Zugriffsrechte, Governance und Risikoanalysen entscheidend. In der Logistik gelten nach EU-AI-Act die meisten Use Cases, die nicht mit generativer KI arbeiten, als Low Risk, bei breiter Automatisierung steigen jedoch die Anforderungen an Dokumentationspflichten.

Welche Quick Wins empfehlen Sie dem Mittelstand mit klarem ROI und CO2-Effekt? Der erste Gewinn ist Entscheidungsfähigkeit: Datenlage prüfen und eine Use-Case-Roadmap erstellen. Operativ bieten sich – je nach Ausgangslage – Routen- und Dispositionsoptimierung an; CO2- und Zeiteffekte sind möglich.

Mitarbeitende müssen geschult werden, Ergebnisse kritisch einzuordnen.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.