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16. Okt 2025

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Business

KI macht Industrie klimafit – mit Dr. Joachim Lentes, Fachreferent Digital Manufacturing am Fraunhofer IAO

Journalist: Thomas Soltau

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Foto: Presse, cottonbro studio/pexels

Wie Künstliche Intelligenz Energie spart, Ausschuss senkt und Kosten reduziert – ohne Greenwashing. Das weiß Experte Dr. Joachim Lentes, Fachreferent Digital Manufacturing am Fraunhofer IAO.

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Dr. Joachim Lentes, Fachreferent Digital Manufacturing am Fraunhofer IAO

Herr Dr. Lentes, KI-Einsatz in der Industrie gilt als Hebel für Nachhaltigkeit. Welche konkreten Einsparungen haben Sie zuletzt gemessen? Wir messen in Projekten signifikante Effekte: Durch KI-basierte, vorausschauende Instandhaltung in einem produzierenden Unternehmen, konnten wir die durchschnittliche Zeit, bis Fehler an einer Maschine auftreten, um 24 Prozent verlängern, die Reparaturzeit um 46 Prozent verkürzen, den Ausschuss um 14 Prozent reduzieren und die Instandhaltungskosten um 23 Prozent senken. Unsere Fraunhofer-Studie zeigt darüber deutliche Potenziale in Bezug auf Energie, Ausschuss und Stillstände – abhängig von Prozess und Datenreife.

Ihr Leitfaden schlägt sieben Schritte vor. Welche davon greifen Unternehmen erfahrungsgemäß zuerst auf? Unternehmen starten erfahrungsgemäß sinnvollerweise mit einem klaren Zielbild, das durch konkrete Angaben ergänzt wird. Dabei können beispielsweise ökologische Kennzahlen, Systemgrenzen und absolute Reduktionspfade definiert werden. Dazu muss die Datenbasis aufgebaut werden, beispielsweise durch die Anbindung von Energiezählern und Unternehmenssoftware wie ERP und MES, aber – wenn möglich – auch der Fertigungseinrichtungen. Dann werden schnelle Erfolge durch „Proof-of-Value-Use Cases“ geschaffen, zum Beispiel in Instandhaltung, Energieoptimierung oder Qualitätsregelung.

Effizienzgewinne bergen die Gefahr von Rebound-Effekten. Wie verhindern Firmen, dass Einsparungen am Ende verpuffen? Rebound-Effekte können durch Governance mit absoluten Zielen, beispielsweise für THG, internem CO2-Preis und Budget- bzw. Lastkappungen vermieden werden. Sinnvoll sind dabei KPI-Systeme mit absoluten und spezifischen Kennzahlen zur Bindung von Effizienzgewinnen an den Reduktionspfad und Vermeidung der Neutralisierung der Effekte durch Mengenausweitung.

Viele Mittelständler kämpfen mit lückenhaften Daten. Ab wann lohnt sich der Einstieg in KI-gestützte CO₂-Bilanzierung? KI unterstützt nicht nur bei der Datenerhebung in Bezug auf Energiezähler, Materialflussdaten und Unternehmenssoftware wie ERP und MES, sondern auch deren Vervollständigung per Imputation und der Anomalieerkennung, sowie der Plausibilisierung von Lieferantendaten. Daher sehen wir keine konkreten Grenzwerte, ab denen sich der Einstieg in die KI-gestützte CO2-Bilanzierung lohnt, sondern empfehlen die Betrachtung des konkreten Falls und gegebenenfalls eine schrittweise, nutzenorientierte Einführung von KI.

Der ökologische Fußabdruck von KI kann durch den Einsatz von „Green AI“ verkleinert werden.

Digitale Zwillinge werden oft als Allzwecklösung gepriesen. Wo sehen Sie tatsächlich den größten Nachhaltigkeitsnutzen? Den größten Nachhaltigkeitsnutzen sehen wir in Produktions- bzw. Prozesszwillingen für die Energie- und Qualitätsoptimierung sowie in Digitalen Zwillingen von Maschinen und Anlagen für die prädiktive Instandhaltung. Praxisnah sind zum Beispiel Lastverschiebungen sowie Qualitätsoptimierungen auf der Grundlage von Produktionsprozessdaten, die wir häufig ja sogar in der manuellen Montage, etwa mit vernetzten Industrie 4.0-Akkuschraubern, gewinnen können. Damit können Energie- und Ausschussverluste im laufenden Betrieb spürbar gesenkt werden.

Kritik am Energiehunger von KI-Modellen wächst. Welche Technologien mindern den ökologischen Fußabdruck? Der ökologische Fußabdruck von KI kann durch den Einsatz von „Green AI“ verkleinert werden – beispielsweise durch den Einsatz kleinerer und quantisierter ML-Modelle, Distillation und Edge-Interferenz statt großskaliger Cloud-Modelle. Zweckmäßig für die Minderung des ökologischen Fußabdrucks sind auch die Versorgung von Rechenzentren mit Ökostrom und gutem PUE sowie die Durchführung der ML-Trainings bei EE-Überschuss. Grundsatz in Bezug auf die ML-Modelle sollte sein: „So groß wie nötig – so schlank wie möglich“.

Der digitale Produktpass wird bald Realität. Wie trägt KI dazu bei, seine Datenqualität sicherzustellen? Mit KI können Daten aus Unternehmenssoftware wie ERP und PLM, aber auch aus Office-Dateien wie PDF extrahiert werden. Die so gewonnenen Daten können durch KI verknüpft und Anomalien erkannt werden. Die Verbesserung der Qualität und Vollständigkeit der Daten unterstützt Auditierbarkeit und Skalierbarkeit des DPP.

Pilotprojekte gibt es viele. Warum hapert es aus Ihrer Sicht bei der Skalierung in den Alltag? Typische Hürden bei der Skalierung von KI-Pilotprojekten in den Unternehmensalltag sind die Datenharmonisierung, eine mangelnde IT-OT-Integration, aber auch weiche Faktoren wie Kompetenzen bzw. benötigte Trainings und Change Management. Hilfreich sind unter anderem klare Product Owner, wiederverwendbare Daten- und ML-Pipelines sowie Blueprints, mit denen Lösungen standardisiert ausgerollt werden können.

Greenwashing-Vorwürfe stehen schnell im Raum. Welche Regeln braucht „nachhaltige KI“, um glaubwürdig zu bleiben? Glaubwürdige „nachhaltige KI“ braucht klare Systemgrenzen und absolute Ziele, zum Beispiel für die Treibhausgasemissionen. Angaben müssen transparent sowie objektiv überprüfbar sein und überprüft werden, ggf. auch per Third-Party-Assurance, und werden idealerweise auf der Grundlage eines Energie- und CO2-Monitorings je Modell zur Verfügung gestellt. Modelle sollten verworfen werden, wenn schlankere Alternativen denselben Nutzen mit geringerem ökologischem Fußabdruck liefern.

Glaubwürdige „nachhaltige KI“ braucht klare Systemgrenzen und absolute Ziele, zum Beispiel für die Treibhausgasemissionen.