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16. Dez 2022

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Wirtschaft

„Startups werden den Food-Markt verändern“

Journalist: Thomas Soltau

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Foto: Presse

Sina Gritzuhn ist Gründerin und Geschäftsführerin der unabhängigen Startup Plattform Hamburg Startups und des Food Innovation Camps, das am 22. Mai 2023 wieder in Hamburg stattfindet.

„Startups werden den Food-Markt verändern“
Die Innovationskraft von Startups kann die gesamte Lebensmittelbranche verändern – und gleichzeitig eine Ernährungswende einleiten. Sina Gritzuhn, Gründerin und Geschäftsführerin von Hamburg Startups, über kleine Revolutionen auf den Tellern.

Sie sind Initiatorin des Food Innovation Camp. Worum geht es dabei genau?
Das Food Innovation Camp ist eine Veranstaltung, die vier Säulen hat und im Prinzip als Plattform für das Food- und vor allem für das Startup-Ökosystem dient. Es ist eine große Expo in der Handelskammer in Hamburg mit über 85 Ausstellern und vielen innovativen Produkten. Auf einer Bühne pitchen Startups mit ihren Produkten vor einer Jury. Wir haben eine Konferenz, in der es um Food Innovation geht – also wie sich die Menschheit auch in den nächsten 50 Jahren ernähren kann. Ein wichtiger Teil davon ist das Thema Matchmaking: Wie bekomme ich passgenaue Investoren geangelt, wenn ich ein innovatives Food Produkt habe? Also eine gezielte geschäftliche Partnerbörse.

Auf der Veranstaltung wurde mit Branchenexperten auch über die Zukunft der Gastronomie diskutiert. Wie ist Ihr Fazit in diesen unsicheren Zeiten?
Die Branche ist schwer im Umbruch. Corona, Energiekrise, Mangel an Arbeitskräften. Zusätzlich verlangen Kunden zunehmend vegetarische und nachhaltige Produkte. Die Politik hat auch Forderungen. Von der EU kommen Auflagen, wenn es um Einwegverpackungen geht. Von 2023 an sind Restaurants, Cafés und Bistros verpflichtet, Mehrwegbehältnis als Alternative zur Einwegverpackung anzubieten. Das sind viele Faktoren, die dazu zwingen, sich umzuorientieren.

Was sind denn die zukünftigen Food-Trends?
Mit der Art und Weise, wie wir essen, können wir die Klimaziele nicht erreichen. Die Generation Z gibt an, dass sich seit dem Beginn der Pandemie 75 Prozent von ihnen gesünder, vegetarischer und nachhaltiger ernähren. Fleischersatzprodukte aus Soja oder Erbsen schmecken mittlerweile so gut, dass sie kaum von Wurst oder Schnitzel zu unterscheiden sind. Greenforce etwa ist ein innovatives Unternehmen, das auf Erbsenbasis Cevapcici macht: Und zwar mit Trocken-Mischungen. Ein Pulver, das man nur mit Wasser mischt und dann daraus Cevapcici formt. Das schmeckt grandios gut. Beim Oktoberfest gibt es sogar eine vegane Weißwurst, die sich großer Beliebtheit erfreut. Wir haben beim Food Camp sogar ein veganes Ei gesehen. Startups bringen wirklich Bewegung in den Markt und werden ihn verändern. 

Die Digitalisierung spielt eine tragende Rolle in jedem Lebensbereich. Ist Food Tech die technologische Zukunft von Essen?
Es ist sehr interessant, was in Israel gerade passiert. Das ist ein Hotspot, wenn es um Labor-Performance geht. Dort wird unter anderem aus Zellen tierischen Ursprungs Kuhmilch entwickelt. Ein anderes Beispiel: Fischstäbchen sind schnell gemacht und beliebt, doch viele Gewässer überfischt. Ein Startup aus Lübeck sucht deshalb nach einer Alternative. Fischstäbchen, die im Labor aus Zellen von Fischen gezüchtet wurden, sollen nach den Plänen von Bluu Seafood schon bald auf den Tellern der Verbraucher landen. Und bei den Pilzen tut sich auch einiges: Wir essen ja gewöhnlich nur das, was man oben sieht, den Fruchtkörper vom Pilz. Dabei sind auch die Myzelien interessant, also auch die Wurzeln vom Pilz. Sie enthalten ganz viele Nährstoffe, sind relativ groß und können gut verarbeitet werden. Letztlich wird alles fermentiert und daraus werden dann Fleisch-Alternativen erzeugt. Damit beschäftigen sich momentan auch diverse Startups. Das alles ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem, was gerade so passiert. Sie sehen: Startups geben der Branche mit ihren innovativen Ideen einen Kick, um zukünftig facettenreiche Angebote im Regal zu haben.

Unser Planet hat nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung. Wie gelangen wir zu mehr Nachhaltigkeit bei den Lebensmitteln?
Neben der bereits erwähnten Wende in der Ernährung spielt die Politik hier eine übergeordnete Rolle: Es wird schlichtweg zu viel reguliert und damit werden zu hohe Hürden für Startups aufgebaut – denn sie liefern Ideen für eine flächendeckende und nachhaltige Versorgung. Natürlich macht die Regulierung Sinn, weil Menschen vor neuen Erzeugnissen ausreichend geschützt werden müssen. Aber bestimmte Hürden müssen einfach niedriger angesetzt werden. Ganz wichtig ist auch die Möglichkeit, Finanzierungsmittel für neue Unternehmen zu generieren, damit die teure Entwicklung der Produkte finanziert werden kann.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.