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29. Jan 2021

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Business

Verkehr der Zukunft sollte weniger Verkehr bedeuten

Journalist: Katja Deutsch

Wie kann der Verkehr auf unseren Straßen nachhaltiger werden? In der Fuhrparkbranche findet ein Umdenken statt. 

Nicht mal mehr Stop and Go. Alles steht. Fahrzeugscheiben beschlagen langsam, während der Blick aufs Navi bestätigt: Nichts geht mehr, der Stau ist kilometerlang, auch auf den Alternativrouten. Der Kaffee in der Halterung bereits kalt, sitzen wir im Auto, als Arbeitnehmer, als Lkw-Fahrer, als Selbstständige, als Chef, zur Untätigkeit verdammt, wartend, viele irgend-wann fluchend. In allen Ballungszentren das gleiche Drama. Die Pandemie, die kurzzeitig ein anderes Bild vorgaukeln mag, beschleunigt das ohnehin hohe Verkehrsaufkommen durch die massive Zunahme an Online-Bestellungen. 

Laut Prognosen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) soll der Pkw-Verkehr im Jahr 2030 im Vergleich zu 2010 um zehn Prozent steigen, die Verkehrsleistung Güter-verkehr sogar um 38 Prozent. Trotz oder gerade wegen dieser vom Februar 2020 stammenden Prognosen, findet in der Mobilitätsbranche seit einiger Zeit ein massives Umdenken statt, sagt Marc-Oliver Prinzing, Vorstandsvorsitzender des Bundesverband Fuhrpark.

„Wenn wir eine generelle Überlastsituation haben, ist die Frage, wie man es schafft, die die Straßen zu entlasten“, er-klärt der Experte. „Das Ziel ist, Mobilität anders zu steuern als durch Umleitungen und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Zum Beispiel digital, durch telematische Regelungen.“ 

Um zukünftig weniger Verkehr und geringeren CO2-Ausstoß zu erreichen, müssen an mehreren Stellen die Weichen anders gestellt werden: Bei Fuhrparkunternehmen, bei Firmen mit vielen Angestellten, bei den professionellen und auch privaten Fahrern und bei der Umsetzung der E-Mobility.

Sind zu viele Lkw mit überflüssigen Leerfahrten unterwegs? Auch wenn aufgrund der zunehmenden Just-in-Time-Lieferungen die Lagerhaltung innerhalb der letzten 20 Jahre mehr und mehr auf die Autobahn verschoben wurde, sieht Marc-Oliver Prinzing das Problem woanders. Denn Logistikunternehmen würden zur Vermeidung von Leerfahrten seit Jahren eng mit speziellen Plattformen und Börsen zusammenarbeiten. 

Für den Vorstandsvorsitzenden liegt die Ursache eher im privaten Bereich: Dort, wo in jedem Fahrzeug nur der Fahrer und sonst niemand sitzt. „Würde jeder Arbeitnehmer morgens auch nur eine einzige andere Person mit zur Arbeit nehmen, hätten wir eine Reduktion des privaten Verkehrs um 50 Prozent. Selbst, wenn nur jeder vierte jemanden mit-nehmen würde, wäre das sensationell!“ Marc-Oliver Prinzing regt deshalb an, dass Unternehmen mit vielen Angestellten/Pendlern den Pendlerbetrieb als Mobilitätsaufgabe betrachten und organisieren, beispielsweise durch das Bereitstellen einer Mitarbeiterplattform, Benefits für Fahrer und Mitfahrer und durch Parkraum-Management. 

Außerdem sollte immer die Frage gestellt werden, wie viel automobile Mobilität man im Unternehmen wirklich braucht. Nutzt ein Außendienstmitarbeiter seinen Dienstwagen nur deshalb, weil er ihn eben hat, so ist das weder intelligent noch nachhaltig. „Man muss die Fahrzeugnutzer erreichen und sie sensibilisieren und dazu bringen, das Firmenauto energieeffizient zu nutzen. Die Gefahr: Wer seinen Sprit nicht selbst bezahlen muss, achtet nicht auf den Verbrauch.“ Rund 20 Prozent des Kraftstoffverbrauchs liegen in der Hand bzw. im Fuß des Fahrers. Erste Unternehmen haben deshalb damit begonnen, Bonussysteme einzuführen und ihre Fahrer auch bei Plug-in-Hybriden in die Pflicht zu nehmen, indem sie beispielsweise nur den Strom bezahlen, den hohen Kraftstoffverbrauch aber nicht. 

Oft wird der ausschließliche Einsatz von elektrisch betriebenen Fahrzeugen für Unternehmen gefordert. Bei Tagesstrecken um die 200 Kilometer sieht Marc-Oliver Prinzing darin nur Vorteile, anders stellt sich die Lage bei Vertriebsmitarbeitern mit einer Jahresdistanz von 70.000 Kilometern dar. Hauptprobleme seien hierbei die oft besetzten Ladesäulen, die lange Ladedauer, und die händisch vorzunehmenden Abrechnungen. Denn der Verwaltungsaufwand sei im Fuhrparkmanagement per se sehr hoch und komplex. 

Der Einsatz der passenden Software erleichtere die Arbeit deshalb spürbar. Prinzing: „Gute Software ist wichtig, um Transparenz zu erreichen und damit zu jedem Zeitpunkt die Flotte im Blick zu haben, auch was Laufleistung und Leasingverträge anbelangt. Ein zweiter Grund liegt in der Automatisierung, die beispielsweise beim digitalen Schlüsselmanagement ihren Einsatz findet.“ Viele Fuhrparkmanager, die bisher mit sechs oder sieben verschiedenen Excel-Tabellen plus HR-Systemen und Finanzbuchhaltung gearbeitet haben, geraten irgend-wann an ihre Grenzen. Ihnen ermöglicht die passende Software gerade zu Pandemiezeiten die problemlose Führung aus dem Homeoffice, um dort die Auswertung sämtlicher Daten vorzunehmen und Kommunikation und Prozesse steuern zu können. 

Und das geht immer öfter in Richtung Nachhaltigkeit. „Das Interesse unserer über 500 Verbandsmitglieder an nachhaltigen Mobilitätskonzepten ist sehr hoch“, sagt der zweifache Vater. „Das gibt mir Hoffnung.“ Jetzt müssen nur noch die Privatfahrer auf den Geschmack kommen. Denn weniger Verkehr ist möglich – wenn wir alle mitmachen.“

27. Jun 2025

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Wirtschaft

Nachhaltig, transparent und partnerschaftlich – Im Interview mit Barbara Frenkel, Vorstandsmitglied Porsche AG

**Warum bekommt die Beschaffung oft so wenig Aufmerksamkeit – obwohl so viel von ihr abhängt?** Weil Beschaffung meist im Hintergrund läuft – und erst dann in den Blickpunkt rückt, wenn etwas fehlt. Das kennt jeder aus dem Alltag: Fehlt beim Kochen eine Zutat oder beim Möbelaufbau eine Schraube, steht meist alles still. Im industriellen Maßstab kann das bedeuten: keine Teile, kein Auto. Unsere Lieferketten sind heute hochgradig komplex, global und auf Effizienz ausgelegt. Fällt ein einziges Teil aus, sei es durch eine Naturkatastrophe, einen Cyberangriff oder geopolitische Spannungen, kann dies die Produktion gefährden. Deshalb denken wir bei Porsche Beschaffung heute anders: vorausschauender, vernetzter und deutlich resilienter. **Welche Strategie verfolgen Sie, um Lieferketten auch in Krisenzeiten stabil und widerstandsfähig zu halten?** Entscheidend ist die Transparenz in der gesamten Lieferkette – also über unsere direkten Lieferanten hinaus. Uns interessiert: Wer sind die Partner dahinter? Wo haben sie ihre Standorte und welchen Risiken sind sie ausgesetzt? Dabei simulieren wir beispielsweise Wetterereignisse oder Cyberattacken. Wir bewerten globale Rohstoffverfügbarkeiten und identifizieren Single-Source-Situationen. Über allem steht die Frage: Wo könnte ein möglicher Ausfall besonders kritisch für uns sein? **Und welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie, um Risiken zu minimieren?** Hier braucht es ein ganzes Maßnahmenbündel. Als vergleichsweise kleiner Hersteller können wir nicht überall auf eine Zwei-Lieferanten-Strategie setzen. Stattdessen überlegen wir uns etwa, wo wir bei kritischen Materialien gezielt Lagerbestände in Werksnähe aufbauen. Oder wir beauftragen zusätzliche Werkzeugsätze, die bei Bedarf schnell aktiviert werden können. **Wie wählen Sie Lieferanten aus, welche Kriterien sind dabei besonders wichtig?** Die Auswahl unserer Lieferanten ist immer Teamwork. Beschaffung, Entwicklung und Produktion arbeiten eng zusammen. Häufig entwickeln wir die Lösungen gemeinsam mit unseren Lieferanten. Hierbei spielt die technische Bewertung in enger Abstimmung mit unserer Entwicklung eine wichtige Rolle. Die Produktion wiederum achtet sehr stark auf die Logistik. Jeder potenzielle Partner durchläuft ein umfassendes Auditverfahren. Dabei geht es um Qualitäts- und Machbarkeitsaudits. Aber auch um eine umfassende Risikoanalyse. Ein fester Bestandteil bei der Auswahl sind zudem Kriterien bei der Nachhaltigkeit. Also rechtliche, ethische und ökologische Standards. >Viele unserer Fahrzeuge sind stark individualisiert – das erfordert flexible, anpassungsfähige Partner. Viele Mittelständler aus Deutschland bieten genau diese Qualität. **Wie wichtig ist Ihnen die Einbindung mittelständischer Lieferanten in Ihrer Lieferkette?** Viele unserer Fahrzeuge sind stark individualisiert – das erfordert flexible, anpassungsfähige Partner. Viele Mittelständler aus Deutschland bieten genau diese Qualität. Vor allem, wenn sie sich in unmittelbarer Werksnähe befinden. Vorteile sind kurze Wege und schnelle Reaktionszeiten. Als in Deutschland verwurzeltes Unternehmen ist uns zudem daran gelegen, die heimische und europäische Lieferkette zu stärken. **Sie haben die Nachhaltigkeit bereits angesprochen. Nochmals konkret: Wie integrieren Sie diese Kriterien in den Beschaffungsprozess?** Wie gesagt, wir denken hier ganzheitlich und in drei Dimensionen: ökologisch, sozial und ethisch. Im ökologischen Bereich legen wir besonderen Wert auf den CO₂-Fußabdruck in der Lieferkette. Hier entscheiden der Energiemix, die verwendeten Rohstoffe und der Anteil an recyceltem Material. Auch der Wasserverbrauch wird immer wichtiger. Soziale und ethische Aspekte sind ebenfalls von Bedeutung. Wir erwarten, dass internationale Arbeitsstandards eingehalten und faire Löhne gezahlt werden. **Wie haben Sie Einkaufprozesse bzw. das Lieferantenmanagement erfolgreich verbessert?** Rund 80 Prozent der Wertschöpfung entsteht bei uns in der Lieferkette. Entsprechend hoch ist die Bedeutung eines effizienten und partnerschaftlich ausgerichteten Lieferantenmanagements. Deshalb setzen wir bewusst früh an: Bereits in der Entwicklungsphase binden wir Lieferanten eng in unsere Prozesse ein. Gemeinsam können wir Kosten optimieren, die Umsetzung garantieren und verlässliche Qualität reproduzieren. Über diesen engen Austausch entstehen belastbare Partnerschaften – von Anfang an. **Wie reagieren Sie auf regionale Marktanforderungen?** Angesichts fragmentierter Märkte gewinnt die regionale Verankerung an Bedeu-tung. In China arbeiten wir beispielsweise gezielt mit starken lokalen Partnern zusammen. Mit dem Ziel, marktgerechte Lösungen zu entwickeln – etwa beim Infotainment. Auch regulatorische Anforderungen erfordern spezifische Lösungen, das Aufspüren innovativer Technologien und innovativer Partner. Immer mehr handelt es sich dabei auch um Start-ups aus branchenfremden Bereichen, etwa beim autonomen Fahren, der Konnektivität oder Software. >Bereits in der Entwicklungsphase binden wir Lieferanten eng in unsere Prozesse ein. Gemeinsam können wir Kosten optimieren, die Umsetzung garantieren und verlässliche Qualität reproduzieren. ## Infos zur Person Barbara Frenkel: Als Kind wollte sie Astronautin werden. Heute leitet Barbara Frenkel das Vorstandsressort Beschaffung der Porsche AG. Frenkel war die erste Frau im Vorstand des Sportwagenherstellers. Sie blickt auf eine mehr als 20-jährige Managementkarriere bei Porsche zurück. Zuvor war sie bei verschiedenen Automobilzulieferern tätig. Barbara Frenkel (62) scheidet zum 19. August 2025 auf eigenen Wunsch aus dem Porsche-Vorstand aus und übergibt ihre Verantwortung an Joachim Schar-nagl (49), der ihre Nachfolge antritt. Privat genießt sie Ausfahrten mit ihrem Oldtimer, einem 911 G-Modell. Sie ist begeisterte Taucherin und unternimmt gerne Ausflüge mit ihrem Hund in die Natur.