20. Jun 2022
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Gesellschaft
Journalist: Julia Butz
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Foto: Frank Bauer
Architekt Rainer Hofmann (bogevischs buero) im Gespräch über die Fragilität der Bauwirtschaft zwischen Energiekrise und Rohstoffmangel.
Wie wirkt sich die Energiekrise auf die Arbeit der Architekten aus?
Massiv. Der Warenwirtschaftskreislauf ist extrem beschädigt, wir haben umfangreiche Lieferengpässe bei Stahl, Holz, Metallen. Die Preise steigen nach oben. Es wird immer schwieriger verlässlich zu kalkulieren, da die Gewerke unmittelbar von der Materialknappheit und den steigenden Preisen betroffen sind. Dank der Einführung der Gleitklauseln in den Verträgen können zukünftige Preissteigerungen zumindest teilweise berücksichtigt werden. Insgesamt haben wir aber eine sehr fragile Marktsituation, mit hohen Baupreisen und wenigen Verfügbarkeiten von Handwerkern. Der Krieg in der Ukraine hat die Lage weiter zugespitzt. Derzeit wird besonders deutlich, wie abhängig wir von internationalen Warenströmen sind. Auch die Transportwege stehen auf dem Prüfstand. Denn wir wissen alle, dass es ressourcenschonender ist, mehr regionale Baustoffe zu nutzen. Große Mengen an europäischem Holz zum Beispiel wurden „dank“ eines Postcorona-Förderprogramms in die USA exportiert. Das schadet der Klimabilanz und dieses Holz kann man auch nicht mehr nachhaltig nennen.
Was bedeutet nachhaltiges Bauen?
Zunächst sollte man schauen, wo man baut. Eine vorhandene Infrastruktur ist viel günstiger für die Ökobilanz als mitten auf der grünen Wiese zu bauen. Sehr wichtig ist auch, dass der Boden bereits versiegelt ist. Wo standen bereits Gebäude, wo muss ich nicht neu aufbereiten? Grundstücke sollten intelligent genutzt werden. Auch in Hinblick auf das Flächenpotential. In Deutschland wird ein großer Teil der Lebensmittel importiert. Weiteren Naturraum als Baufläche zu nutzen, verringert den Anteil landwirtschaftlicher Nutzflächen. Für eine nachhaltige Standortentwicklung muss geprüft werden, inwieweit vorhandene Gebäude für den Neubau nutzbar sind. Früher galt die Regel: Abriss und Neubau ist günstiger als Bestand zu nutzen. Auch hier muss ein Umdenken stattfinden, der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes muss in den Blick genommen werden.
Stichwort „Graue Energien“.
Genau. Beton und andere Baustoffe aus dem Abriss, die heute als Abfall deklariert, normalerweise auf Deponien landen, können in Baumaterialien für eine Sekundärnutzung umgewandelt werden. Natürlich ist auch hier der Energieaufwand da, durch Transport, Reinigung, Lagerung – aber es kann ein Weg sein, Ressourcenkreisläufe im Bausektor zu schließen. Dazu fehlt uns allerdings noch eine gültige Zertifizierung. Die Schweizer sind da bereits weiter als wir.
Wie müssen Konzepte neu gedacht werden?
Wesentlicher Bestandteil ist eine grundsätzliche Veränderung zu zirkulärem Denken. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, den Bestandsschutz der Erde immer in den Fokus zu stellen. Wir müssen in Stoffkreisläufen denken und zirkulär bauen, handeln und wirtschaften. Und dies nicht nur in Teilbereichen, sondern vollumfänglich. Das können wir nur gemeinsam schaffen, ein Handeln aller Beteiligten ist dazu erforderlich.
Wo kann dabei konkret angesetzt werden?
Wir sollten intensiver darüber nachdenken, welche Standards wir haben. In Deutschland herrscht eine Überregulierung. Zur Einhaltung der Standards werden die Baukosten faktisch in die Höhe getrieben. An den wenigen nicht-regulierten Stellen wird dann gespart, zum Beispiel dort, wo nachhaltige Materialien eingesetzt worden wären. Die Richtlinien schränken unsere planerische Bewegungsfreiheit stark ein und es ist äußerst schwierig, innerhalb dieses Korsetts mit innovativen Konzepten auch auf die aktuelle Preisspirale zu reagieren. Um klimagerecht und gleichzeitig kostengünstig bauen zu können, müssen wir die überbordende Last der Normen verschlanken. Die Einführung der „Gebäudeklasse E“, die derzeit erarbeitet wird, ist ein erster Schritt.
Wo sehen Sie die Gesetzgebung außerdem in der Pflicht?
Wir können intelligente Systeme entwickeln, nachhaltig zu bauen. Aber der Prozess des Bauens ist ein langfristiger. Daher benötigen wir auch langfristig Klarheit über Normen und Förderungen. Es bedarf intelligenter Förderinstrumente und einer Verlässlichkeit der Gesetzgebung. Und wir brauchen auch mehr positive Leitbilder. Mehr positives Denken. Ich bin trotz allem optimistisch. Wir können Innovation voranbringen, die Instrumente sind vorhanden. Jetzt gilt es, sie richtig zu nutzen und gemeinschaftlich zu handeln.