29. Sep 2023
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Gesellschaft
Journalist: Thomas Soltau
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Foto: Marcus Mørk for © BIG / Bjarke Ingels Group
Architekt Kai-Uwe Bergmann ist Partner bei der Bjarke Ingels Group (BIG) und leitet von New York aus die Geschäftsentwicklung. Mit spektakulären und nachhaltigen Konzepten wie der Müllverbrennungsanlage „CopenHill“ samt Skianlage bringt er neuen Schwung in die Stadtgestaltung.
Herr Bergmann, im Zeitalter wirtschaftlicher Umstrukturierung bleibt auch das deutsche Bauwesen nicht von der Energiewende und Ressourcenknappheit verschont. Welche Weichen müssen gestellt werden, um eine Krise abzuwenden?
Wir haben nur einen Planeten mit endlichen Ressourcen. Deshalb ist eine Kreislaufwirtschaft so wichtig und gleichzeitig eine Lebensweise, in der ein Recycling von möglichst vielen Materialien stattfindet. Nur, wenn Stoffe langfristig in der Gesellschaft zirkulieren, können wir so weiterbauen, wie wir es jetzt machen. Dazu zählt auch, neue Konzepte für Gebäude zu erstellen, die mehrere Nutzungen innerhalb des Raums zulassen. Durch diese vielseitigen Möglichkeiten garantieren sie einen langfristigen Bestand.
Digitalisierung und Dekarbonisierung sind wichtig, um das deutsche Bauwesen zukunftsfähiger zu gestalten. Ist Deutschland gut aufgestellt?
Ich glaube, ja. Es geht immer um Information und das Wissen, welche Bedeutung Material für die Dekarbonisierung hat. Wir müssen das Zusammenspiel von Materialien und Digitalisierung verstehen und neue Wege beschreiten. Digitalisierung ist nicht nur, alles im Computer zu erstellen. Es ist echt. Wirklich. Wir benötigen informierte Entscheidungen für Bauprojekte. Momentan entscheidet eher der Bauch anstatt Kopf und Herz, und das müssen wir besser ausbalancieren – zwischen allen teilen. Aber manchmal gibt es zu viele Regulierungen wie bspw. hier in Deutschland, die neue Formen des Bauens erschweren.
Wie beurteilen Sie die deutsche Bürokratie?
Ich denke, dass Regeln hilfreich sein können. Was aber fehlt, ist eine Regulierung, die Spielraum für Interpretationen bietet. Vieles bleibt zu unflexibel, nur in eine Richtung ausgelegt. Es fehlt ein Mechanismus, der eine Variationsbreite bei Entscheidungen zulässt. Das sehen Skandinavier spielerischer beim Bau von Häusern. Bei ihnen geht es nicht nur um den Verbrauch von Kilowattstunden pro Quadratmeter, sondern um das gesamte System.
Ich glaube, wenn Architekten enger zusammenarbeiten mit der Stadt, mit Planern, mit Ingenieuren, dann gäbe es vielleicht ein bisschen mehr menschlichere und nachhaltigere Systeme.
Wird das Ansehen von Metropolen durch ästhetische Architektur geprägt?
Auf jeden Fall. Sehen Sie sich Hamburg an. Eine der ersten Assoziationen für Menschen ist die Elbphilharmonie. Dänemark schafft es, noch einen Schritt weiterzugehen. Du arbeitest dort, wo du wohnst. Mit dem Rad bist du in Kopenhagen häufig in 15 Minuten am Arbeitsplatz und tust noch etwas für deine Gesundheit. Die Skandinavier bauen ihr Leben nicht ausschließlich auf Kalkulation und Regelung auf. Es geht um Systeme: Energiesysteme, Mobilitätssysteme, Distributionssysteme – alles sollte vernetzt sein. Ich glaube, wenn Architekten enger zusammenarbeiten mit der Stadt, mit Planern, mit Ingenieuren, dann gäbe es vielleicht ein bisschen mehr menschlichere und nachhaltigere Systeme. Das bedeutet auch, städtebauliche Entscheidungen aus den 50er- und 60er-Jahren zu revidieren.
Wohnraum wird in den Großstädten knapper, die Wohnflächen kleiner. Was kann nachhaltiges Bauen an diesem Umstand verändern?
Die Frage könnte ja auch so gestellt sein: Müssen Flächen so groß sein für eine Familie? Ich finde, dass wir im Westen ein Rightsizing der Wohnfläche brauchen. Öffentliche Räume werden bei kleinen Wohnungen viel wichtiger. New York ist ein gutes Beispiel mit staatlichen Plätzen, an denen das Leben außerhalb der vier Wände stattfindet.
Mit dem Edge East Side Tower in Berlin bauen Sie gerade Berlins höchstes und nachhaltigstes Bürogebäude. Erzählen Sie von Ihrem Konzept.
Wir erstellen eine Art neue Qualität, mit vielseitig nutzbaren und veränderbaren Räumen. Wenn ich in einem Flugzeug sitze, dann kann ich am Fenster, im Gang oder in der Mitte sitzen. Viele Bauherren erstellen Bürotürme, die sind nur der Mittelsitz. Bei unserem Turm sitzen wirklich alle am Fenster. Zusätzlich verfügt das Gebäude über verschiedene Plattformen, auf denen man Luft und Sonne genießen kann. Beim Bau werden nachhaltige Produkte unter Berücksichtigung der Kreislaufwirtschaft verwendet. Design, Technologie und Nachhaltigkeit verschmelzen optimal miteinander. Dafür gab es von der DGNB bereits das Vorzertifikat „Platin“. Um den Turm gut in das städtische Gefüge einzubinden, setzen wir auf ein Mixed-Use-Programm. Eine Art vertikaler Kiez, der eine innere Nachbarschaft in einer vertikalen Struktur schafft. Die unteren Etagen des Gebäudes sollen einem künstlerischen Konzept folgen und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wir versuchen, einen authentischen Raum zu gestalten, der die dynamische Kiezkultur widerspiegelt.
Rendering credit: EDGE tech
EDGE East Side credit: EDGE tech