Ein Portrait von Marc-Pierre Möll

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13. Mär 2024

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Gesundheit

Der Standort Deutschland ist bedroht – Interview mit Marc-Pierre Möll

Journalist: Armin Fuhrer

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Foto: BVMed/Darius Ramazani

Die Chancen der Medizintechnologie sinken, insbesondere, weil das regulatorische System zu kompliziert ist, sagt BVMed-Geschäftsführer Marc-Pierre Möll.

Herr Möll, Deutschland ist ein wichtiger Standort der Medizintechnologie-Branche. Welche Chancen liegen darin?

In erster Linie verbessern moderne Medizintechnologien unsere Lebensqualität, retten und erhalten Leben. Gleichzeitig ist die Branche ein Aushängeschild der deutschen Wirtschaft. Wir sind Innovationstreiber: Neun Prozent des Umsatzes gehen in Forschung und Entwicklung. Wir sind Jobmotor: Die Unternehmen beschäftigen in Deutschland über 250.000 Menschen. Wir sind Exportweltmeister: Mit einer Exportquote von rund 67 Prozent. Wir haben 93 Prozent Mittelstand und Familienunternehmen mit Forschung und Produktion in Deutschland. Das alles zeigt: Wir sind Weltspitze. Noch. Denn: Der Medizintechnik-Standort Deutschland ist stark gefährdet. Das liegt vor allem an hausgemachten Problemen: Wir leiden unter einem handwerklich schlecht gemachten und zu komplizierten regulatorischen System für Medizinprodukte.

Die europäische Verordnung über Medizinprodukte – kurz: MDR – ist seit einigen Jahren in Kraft, die Übergangsbestimmungen laufen noch bis Ende 2028. Wie ist Ihre Bilanz bisher? ** Die Bilanz fällt eher negativ aus, da das System immer noch nicht praxistauglich ist. Ein Problem ist, dass viele Hersteller aufgrund der hohen Aufwände und Kosten für die Einhaltung der überbürokratischen MDR-Vorschriften ihr Produktportfolio bereinigen und ihre Produkte anpassen mussten. Viele Hersteller haben Schwierigkeiten, Kapazitäten bei benannten Stellen zu finden, um Produkte, die bereits sicher und wirksam auf dem Markt waren, erneut zu zertifizieren. ** Warum wirkt sich die MDR so negativ auf den Forschungsstandort aus?

Weil das System das hohe Innovationstempo der Branche ausbremst. Die MDR-Vorschriften sind zu komplex und unberechenbar, was die Einführung neuer Produkte weniger attraktiv macht. Studien haben gezeigt, dass MedTech-Unternehmen in 65 Prozent der Fälle gezwungen sind, Entwicklungsressourcen in die Regulatorik zu verlagern – auf Kosten der Innovationstätigkeit. Nach einer BCG-Studie aus dem Jahr 2022 priorisieren 89 Prozent der MedTech-Unternehmen mittlerweile eine FDA-Zulassung im US-amerikanischen Markt.

Und wie sehen die Folgen aus?

Wir sehen, dass Unternehmen Forschungsprojekte nach Großbritannien oder in die USA auslagern, da dort Innovationszugang und Datennutzung besser geregelt sind. Jüngstes Beispiel: Die Auslagerung der gesamten Krebsforschung von Biontech nach UK. ** Sind also Ihrer Ansicht nach Änderungen nötig und in welche Richtungen sollten sie gehen?**

Ja, wir brauchen so schnell wie möglich eine strukturelle Weiterentwicklung der MDR. In unserem ausführlichen Whitepaper schlagen wir unter anderem die Abschaffung der fünfjährigen Re-Zertifizierungsfrist vor. Zudem fordern wir ein Fast-Track-Verfahren für Orphan Devices, Nischenprodukte und Innovationen. Wir brauchen mehr Transparenz und Effizienz, mehr Berechenbarkeit und Schnelligkeit. Jetzt ist die richtige Zeit, darüber zu reden, damit wir nach der Europawahl 2024 mit der neuen Kommission und dem neuen Parlament zügig konkret werden können.

Wird der Standort Deutschland auch aus anderen Gründen geschwächt? Viele Branchen leiden zum Beispiel unter hohen Energiepreisen.

Ja, das trifft auch die MedTech-Branche, die in ihren Produktionsprozessen sehr energieintensiv ist. Wir brauchen deshalb eine MedTech-Strategie aus einem Guss: mit wettbewerbsfähigen Energiepreisen, einer Entbürokratisierungs-Offensive, einem konsequenten Bürokratieabbau. Um unseren Mittelstand als Innovationstreiber zu stützen, nicht zu ersticken. ** Nicht zuletzt ist gerade Ihre Branche auch von der Digitalisierung abhängig. Auch an dieser Stelle gibt es vermutlich noch immer Nachholbedarf, oder?**

Es geht voran, aber immer noch zu langsam. Die neue Digitalstrategie des Gesundheitsministeriums hat viele gute Ansätze, aber auch noch Verbesserungspotenzial. Bei der Datennutzung ist es wichtig, dass Medizintechnik-Unternehmen für ihre Forschung und Entwicklung einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsforschungsdaten erhalten. Und wir brauchen eine Harmonisierung von Datenschutzregelungen und deren einheitliche Auslegung durch die Datenschutzaufsicht. Vor allem muss die Politik im Dialog mit der Wirtschaft bleiben, um die Digitalisierung weiter voranzubringen.

Interessanter Fakt:

Marc-Pierre Möll ist Doktor der Philosophie und seit über 30 Jahren im politischen Bonn und Berlin aktiv. Eine Erkenntnis, die er gewonnen hat, lautet: Jede Ordnung provoziert Heterotopien – wir brauchen diese Räume des Anderswo. Sie bergen ein emanzipatorisches, rebellisches, mitunter subversives Potential. Das Politische Denken als Leidenschaft ist wichtig.