28. Sep 2023
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Gesundheit
Journalist: Kirsten Schwieger
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Foto: Tima Miroshnichenko/pexels, bvitg e.V.
Interview mit dem Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V. über die Herausforderungen und Chancen im Hinblick auf die elektronische Patientenakte sowie das E-Rezept.
Melanie Wendling, Geschäftsführerin Susanne Koch, Bereichsleitung Verbandsarbeit
Frau Koch, ist eine Opt-out-Funktion die Lösung, 80 % der gesetzlich Versicherten bis 2025 mit elektronischer Patientenakte (ePA) auszustatten?
Ein Opt-out-Verfahren wird unserer Meinung nach erwartungsgemäß die Ausstattung der gesetzlich Versicherten mit einer ePA wesentlich erhöhen. 80 % scheint hier kein unrealistischer Prozentsatz. Wir möchten aber deutlich darauf hinweisen, dass eine Ausstattung nicht mit der Nutzung gleichzusetzen ist. Hier wird an der bestehenden Architektur der ePA und an den spezifizierten Prozessen der Nutzung weitergearbeitet werden müssen. Brachliegende Datenfriedhöfe wären der Worst Case. Ziel muss eine mehrwertstiftende Anwendung für die Versorgenden und Zu-Versorgenden bleiben.
Welche Herausforderungen müssen vor Einführung der Opt-out ePA noch gelöst werden – und von wem?
Wir sehen Herausforderungen in Bereichen, die den meisten nicht neu sein werden. Grundlegend bleibt ein funktionierendes übergeordnetes Projektmanagement als Basis für ein solches Großprojekt mit vielen voneinander abhängigen Unterthemen. Die für die erste ePA konzipierte Architektur bereitet bei Aspekten wie Nutzerfreundlichkeit und Performance leider ebenfalls Schwierigkeiten. Und dann haben wir noch das entscheidende Thema der Kommunikation zu den Nutzern. Wir sehen die Lösung bei den Verantwortlichen sowie nur in Zusammenarbeit lösbar. Hier müssen BMG und gematik eng mit Leistungserbringenden-, Patienten- und Industrievertretung zusammenkommen. Bedarfsgemäß muss nicht immer jeder am Tisch sitzen, nur leider haben wir in der Vergangenheit häufig bei später Einbindung Ideen vorgesetzt bekommen, die realistisch nicht umsetzbar waren. Beim aktuellen Zeitplan bleiben für solche Fehler keine Zeit, wenn die ePA erfolgreich werden soll.
Im Gegensatz zur ePA wurde beim E-Rezept die gesamte Prozesskette bereits in diversen Settings durchgespielt. Optimierungsbedarfe konnten vielerorts bereits identifiziert werden.
Das E-Rezept soll schon im Januar 2024 verbindlich starten – läuft es hier runder?
Im Gegensatz zur ePA wurde beim E-Rezept die gesamte Prozesskette bereits in diversen Settings durchgespielt. Optimierungsbedarfe konnten vielerorts bereits identifiziert werden. Was noch nicht erprobt werden konnte, ist tatsächlich wie der zentrale Server der gematik bei Volllast reagieren wird. Laut gematik-Aussagen scheint dies aber berechnet und kein Problem zu geben. Hoffentlich trifft dies zu, sonst werden BMG und gematik Anfang 2024 erst einen Brand löschen müssen, bevor man sich wieder auf das Großprojekt ePA fokussieren kann.
Frau Wendling, wie könnte das Spannungsfeld Datenschutz und Digitalisierung hierzulande gelöst werden?
Indem wir in eine ehrliche Kommunikation darüber gehen, was es für Deutschland bedeutet, sich bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens der kontroversen Doktrin des deutschen Datenschutzes zu unterwerfen, statt sich zumindest europäischen Standards anzupassen. Und um es ganz klar zu sagen: Es geht nicht darum, den Datenschutz für die Industrie aufzuweichen. Aber um deutsche Innovationskraft und vorhandene Potenziale in der Patientenversorgung weiter nutzen zu können, müssen wir die europäische Datenschutzvorgaben anerkennen. Deutsche Alleingänge schaden dem Wettbewerb und letztendlich der Patientenversorgung.
Wie kann die Politik die unterschiedlichen Interessen zu einem Ausgleich bringen?
Zuhören und faktenbasiert entscheiden. Im deutschen Gesundheitswesen wird zu viel übereinander und zu wenig miteinander geredet. Und wir brauchen weniger Bauchgefühl und mehr faktenbasierte Diskussionsgrundlagen. Digitalisierung unterliegt in den meisten Fällen keiner technischen Hemmschwelle, sondern einer psychologischen.