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13. Dez 2023

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Gesundheit

Mein Sprung zurück ins Leben

Journalist: Christiane Meyer-Spittler

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Foto: Andre Kirsch

Seine größten Erfolge erzielte Sven Hannawald bei der Vierschanzen-Tournee 2001/2002. Er gewann als erster und bis heute als einziger Skispringer alle vier Einzelspringen. 2005 beendete er offiziell seine Karriere, nachdem bei ihm 2004 ein Burnout diagnostiziert wurde.

Herr Hannawald, welche Warnzeichen gab es vor Ihrem Zusammenbruch?

Meine Erkrankung war ein schleichender Prozess, die ich erst nach der offiziellen Diagnose erkannt habe. Ich litt an einer quälenden Unruhe und andauernden Müdigkeit, der ich nicht entfliehen konnte. Egal, was ich machte, es ging immer nur nach unten. Es war ein Teufelskreis, aus dem ich alleine nicht mehr heraus kam. 

 

Wie lange dauerte es bis zur richtigen Diagnose?

Gut anderthalb Jahre ging ich von Arzt zu Arzt, die mir immer eine gute körperliche Verfassung versicherten. Doch ich brachte Nichts auf die Reihe und lief rum wie ein Schlafwagen. Erst ein Arzt für Psychosomatik erkannte mein eigentliches Problem und diagnostizierte einen Burn-out.  Er überwies mich gleich in eine Klinik. Dort kam ich, anfangs durch Medikamente, endlich zu erholsamen Schlaf und konnte in Gesprächen meinen Gefühlen freien Lauf lassen.

 

Hätten Sie es auch ohne Klinikaufenthalt aus dieser tiefen Krise geschafft?

Nein, das war in diesem Stadium nicht mehr möglich. Je länger ein solcher Zustand andauert, desto tiefer rutscht man in seine falschen Gedankenmuster. Ohne professionelle Hilfe kommt man da nicht mehr heraus.

Nach den sieben Wochen Klinikaufenthalt fühlte ich mich wieder wohler und dachte schon, ich hätte es geschafft. Doch das war nicht von Dauer, der normale Alltag hat nicht geklappt. Allein der Anblick meines Elternhauses ließ in mir alte Denkmuster wieder aufbrechen. Erst durch lange ambulante Therapie nach der Klinik lernte ich umzudenken und auf meine Gefühle zu horchen.

 

Was waren Ihre Auslöser gewesen?

Perfektionismus und Ehrgeiz machen erfolgreich, aber Erfolge machen eben süchtig. Ich konnte nicht loslassen, der Gedanken ‚die Konkurrenz schläft nicht‘, ließ mich rastlos werden. Training ohne Pause, keine Regenerationsphasen, keine Gefühle zulassen, das hat mich kaputt gemacht.

 

Wie gehen Sie heute mit negativem Stress um?

Ich habe feste Zeiten zum Aufladen für mich im Kalender stehen. Wenn eine Anfrage in dieses Zeitfenster fällt, sag ich sie ab, damit ich gar nicht erst wieder in ein Defizit komme. Das heißt aber nicht, dass es in meinem Leben kein Stress mehr gäbe. Ein Leben ohne Stress birgt neue Probleme. Aber der Stress muss begrenzt sein und darf mich nicht überfordern.

 

Inwieweit spielt eine gesunde Ernährung und Lebensweise als Prävention eine Rolle?

Das ist eine Grundvoraussetzung für eine gesunde Psyche. Wenn ich mich gesund ernähre, habe ich natürlich ein anderes Energielevel als wenn ich nur Fastfood esse.

Meine Belastbarkeit erhöht sich und ich muss für meine Aufgaben nicht mehr bis an mein Limit gehen. So habe ich dann noch Kraftreserven für meine Freizeit.

 

Wie schützen Sie sich heute vor einer Wiederholung?

Ich habe gelernt, auf mein Bauchgefühl, meine innere Stimme zu hören. Sie bewahrt mich davor, über meine Basis zu gehen. Am Anfang kostet es noch Überwindung, auf seinen Instinkt zu hören und rechtzeitig Nein zu sagen.

So nehme ich zum Beispiel aus Selbstschutz keine Trainer-Tätigkeit an, weil ich von mir weiß, ich würde nicht abschalten können. Ich würde anfangen, mir nachts Gedanken zu machen, was es am besten für meine Schützlinge wäre und mich selbst in die nächste Überforderung befeuern.

 

Gibt es Erste-Hilfe-Maßnahmen, wenn man bei sich ersten Anzeichen für einen Burn-out spürt?

Burn-out betrifft Leute, die alles 100 % machen wollen. Dabei läuft ihnen die Zeit für sich selbst weg. Da hilft es, klare Zeitgrenzen zu setzen: Wann arbeite ich, wann regeneriere ich.

Auch eine vertraute Person um ein klärendes Gespräch bitten, kann schon die eigenen Augen öffnen.

Ist allerdings ein Stadium erreicht, indem man sich innerlich verschlossen hat, wird es ohne Therapeuten nicht gehen. Es braucht Mut, sich zu öffnen und zu seinen Gefühlen zu stehen. Sind schon körperliche Symptome wie Bauchweh oder Rückenschmerzen da, gleich einen Arzt für Psychosomatik aufsuchen. Anhand eines 30-minütigen Gesprächs kann er bereits feststellen, was mit einem los ist.

 

Wie können Angehörige Betroffenen helfen?

Das Wichtigste ist, den hohen Druck zu nehmen, der auf den Betroffenen liegt. Ihnen  Rückhalt geben, dass sie sich nicht alleine fühlen und Gespräche anbieten ohne zu fordern.

 

Kann Ihr Buch ‚Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben‘ auch ein Ratgeber für Betroffenen sein?

Es soll auf jeden Fall ein Mutmacher sein, sich rechtzeitig Hilfe zu suchen. Jeder Burn-out ist ein individueller Prozess, aber immer ist man selbst für ihn verantwortlich. Das heißt, man kann sich auch nur selbst wieder herausholen, indem man lernt, umzudenken und sich ein neues Selbstbewusstsein schafft.

 

Wie schauen Sie für sich selbst in die Zukunft?

Ich hab mich in meinem Leben gefunden. Es gibt tolle Tage, und dann kann auch mal wieder ein blöder Tag kommen. Ich habe gelernt, damit zurecht zu kommen und das aus Auf und Ab im Leben zu akzeptieren.

Sven Hannawald (47), in der DDR geboren, gewann insgesamt 18 Weltcup-Springen. Er war schon vor seinem Weltmeistertitel und Olympiasieg eine Legende. Das Buch: „Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben“ schildert die Geschichte seines anschließenden Burn-outs und den langen Prozess seiner Genesung.