30. Dez 2024
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Gesundheit
Journalist: Katja Deutsch
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Foto: Cottonbro/pexels
Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer der rund 8000 bekannten seltenen Erkrankungen, auch „Orphan Diseases“ genannt.
Seltene Krankheiten sind gar nicht so selten. Weltweit sind schätzungsweise 300 Millionen Menschen von den sogenannten Orphan Diseases betroffen, übersetzt also „verwaiste Krankheiten“, in Deutschland sind es etwa vier Millionen. Eine Krankheit gilt als selten, wenn sie bei weniger als fünf von 10.000 Menschen auftritt. Mehr als 8.000 solcher seltenen Erkrankungen sind bekannt. Die Mehrzahl der Betroffenen leidet an genetisch bedingten Erkrankungen, mehr als 70 Prozent manifestieren sich bereits im Kindesalter. Ein Großteil der Patient:innen leidet an einer der 149 „häufigeren“ seltenen Krankheiten. Es gibt aber auch extrem seltene Erkrankungen, von denen weniger als eine von einer Million Menschen betroffen ist.
Ein großes Problem bei seltenen Erkrankungen ist die richtige Diagnose. Vielen Hausärzten ist nicht bewusst, dass sie täglich ein bis zwei Patienten mit einer seltenen Erkrankung sehen – mit schwerwiegenden Folgen für die Erkrankten. Im Durchschnitt dauert es fünf bis sieben Jahre und mehr als sieben Facharztbesuche, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Aufgrund mangelnder Kommunikation zwischen den Fachärzten werden häufig Fehldiagnosen gestellt und unspezifische Symptome falsch behandelt. Viele seltene Erkrankungen sind selbst Fachärzten nicht bekannt, zudem fehlen standardisierte Tests.
Ist die richtige Diagnose endlich gestellt, hilft das den Betroffenen oft nicht weiter, denn nur für drei von 100 seltenen Erkrankungen gibt es zugelassene Medikamente. Behandelnde Ärzt:innen sollten die Möglichkeit einer seltenen Erkrankung in Betracht ziehen, wenn mehrere Organe betroffen sind, diese viele unspezifische Probleme zeigen und sich die Beschwerden trotz Therapie nicht bessern. Bei Kindern ist Vorsicht geboten, wenn Symptome in ungewöhnlicher Kombination auftreten, z. B. Kleinwuchs, starker Durst und Übergewicht.
Wer die Diagnose „seltene Erkrankung“ erhält, kann sich an eines der über 30 spezialisierten Zentren für seltene Erkrankungen (se-atlas) wenden, die vom Nationalen Aktionsbündnis für seltene Erkrankungen (NAMSE) koordiniert werden. Dort erfolgt eine mehrstufige, umfassende Untersuchung, eine interdisziplinäre Diagnostik und am Ende im Idealfall eine passende Therapie. Unterstützung finden Betroffene auch bei Organisationen wie Achse und Orphanet. Die Entwicklung von Therapien für seltene Erkrankungen ist eine große Herausforderung, da die Forschung meist in den normalen (Universitäts-)Klinikalltag integriert werden muss und nur wenige Probanden zur Verfügung stehen. Für viele Pharmaunternehmen ist die Erforschung seltener Krankheiten aus wirtschaftlichen Gründen wenig attraktiv.
Dennoch gibt es Fortschritte: Seit Einführung der EU-Orphan-Drug-Verordnung im Jahr 2000 wurden über 130 Medikamente für seltene Erkrankungen, sogenannte Orphan Drugs, zugelassen. Initiativen wie EURORDIS fördern die internationale Zusammenarbeit von Forschern und Kliniken. Auch Verfahren wie CRISPR/Cas bieten Hoffnung, insbesondere bei genetisch bedingten Erkrankungen. Künstliche Intelligenz wird zunehmend auch in der Diagnostik eingesetzt. Sie schafft, was im Alltag oft nicht möglich ist: Untersuchungsergebnisse von Betroffenen aus verschiedenen Fachrichtungen mit Forschungsergebnissen zusammenzuführen und so die richtige Diagnose zu stellen.